Wie Ayahuasca das persönliche Zeitempfinden verändert – und dadurch therapeutischen Nutzen entfalten kann
Wie Ayahuasca das persönliche Zeitempfinden verändert – und dadurch therapeutischen Nutzen entfalten kann

Wie Ayahuasca das persönliche Zeitempfinden verändert – und dadurch therapeutischen Nutzen entfalten kann

Wie Ayahuasca das persönliche Zeitempfinden verändert – und dadurch therapeutischen Nutzen entfalten kann

Ayahuasca, ein traditioneller Pflanzensud, wird seit Jahrtausenden von indigenen Völkern in Südamerika für rituelle und therapeutische Zwecke verwendet. Es verändert die Wahrnehmung von Raum und Zeit, was in der Psychotherapie als potenziell wertvoll erachtet wird, da es tiefgreifende psychische und emotionale Umstrukturierungen hervorrufen kann. Studien zeigen, dass langfristiger Ayahuasca-Konsum keinen gesundheitsschädlichen Effekt hat, sondern positive Auswirkungen auf das mentale Wohlbefinden sowie die Behandlung von Suchterkrankungen und psychischen Störungen haben kann, wenngleich die Daten noch begrenzt sind. Diese Hausarbeit von Alexandra Kinder entstand im Seminar „Keine Zeit? Zum alltäglichen Umgang mit einer kostbaren Ressource“ im SoSe2020; darin verarbeitet sie auch ihre persönlichen Eindrücke und Erfahrungen während ihrer Feldforschung 2019.

Literaturquellen befinden sich im PDF.

Ausgangslage – Meine Feldforschung 2019

Von September bis Dezember 2019 führte ich in Cuzco, Peru, eine Feldforschung durch,welche sich mit der Frage beschäftigte, wie es um die Zukunft der indigenen Sprache Quechua steht. Viele Wissenschaftler:innen aus den Bereichen Linguistik, Ethnologie, Soziologie und verwandten Disziplinen, welche sich mit dieser Sprache beschäftigen, äußern die Befürchtung, diese sei zunehmend vom Aussterben bedroht (vgl. u.a.  Crevels 2012, Mannheim 1984, Dorian 1998, Grinevald 1998, Hornberger 1988), weshalb auch einige der zahlreichen Quechua-Varianten auf den Listen für bedrohte Sprachen diverser Organisationen, wie beispielsweise der Unesco, stehen (vgl. u.a. Simons & Fenning 2018, ethnologue.com, unesco.org). Im Rahmen dieser Feldforschung hatte ich die Gelegenheit, mit einer Vielzahl von Akteur:innen zu sprechen, von Mitarbeiter:innen und Studierenden an einer der örtlichen Universitäten, über Touristenführer:innen und Museumsangestellte, bis hin zu Saftverkäufer:innen, Restaurantbesitzer:innen und einigen Personen, die mich bis heute begleiten. Eine dieser Personen trägt den Namen Eduardo. Eduardo ist Mitte 40, hat 17 Geschwister und zog, um Arbeit zu finden, nach Cuzco. Wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, besucht er seine Familie, welche sehr zurückgezogen in einem Waldgebiet etwa 20 Busstunden entfernt von Cuzco lebt. Eduardo gehört zur Ethnie der Shipibo-Conibo, welche zu großen Teilen von Ackerbau, Fischerei und Tierhaltung lebt und viele ihrer Traditionen bewahrt hat (vgl. u.a. Wali et al. 2016, Illius 1991, 1999). Eine dieser Traditionen ist die Einnahme von Ayahuasca, welches 2008 durch das “Ministerio de Cultura de Perú“ zum nationalen Kulturerbe erklärt wurde (Knupper 2016; Dupuis 2018:345). Im Jahr 2019 kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit einem „der faszinierendsten und kulturell bedeutsamsten Halluzinogene[n]“ (Schultes & Hofmann 1980:126). 

Der Begriff „Halluzinogene“ ist nicht unumstritten. Im Kontext der vorliegenden Arbeit begreife ich Ayahuasca dennoch als Halluzinogen und verstehe darunter „Chemikalien, die in nichttoxischen Dosen Veränderungen in der Wahrnehmung, im Bewußtsein und in der Gemütslage hervorrufen, […] Desorientierung in bezug [sic!] auf Personen, Raum und Zeit bewirken“ (Schultes & Hofmann 1980:13) und „tiefgreifende Veränderungen im Erlebnisbereich, in der Wahrnehmung der äußeren Wirklichkeit (selbst im Erleben von Raum und Zeit) und im Ichbewußtsein [bewirkt]“ (ebd). Eine Folge der Einnahme von Halluzinogenen besteht darin, dass man unter ihrem Einfluss die „vertraute Umwelt [vergißt] und […] anderen Normen gemäß [handelt], in außergewöhnlichen Raum- und Zeitverhältnissen“ (ebd.:14). 

Ayahuasca

Seit ca. 3500 Jahren wird Ayahuasca, dessen Name aus dem Quechua übersetzt Seelenranke, Geisterliane oder Todesranke bedeutet, in großen Teilen Südamerikas konsumiert (vgl. Andritzky 1989; Illius 1991), hauptsächlich in „Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru, im Orinoco von Venezuela und der der Pazifikküste von Kolumbien und Ecuador“ (Eigner & Scholz 1985:66). Ayahuasca weist schon in „ihrer begrifflichen Bedeutung auf die Befreiung der Seele hin“ (Linhart 2015:174). “Depending on the ethnic group, it was used in communal rituals of men, singing and dancing, for locating animals, divination, in warfare and conflict, to see faraway places, and for healing […]. It was also important in native art, cosmology and ethnoastronomy“ (Fotiou 2016:152) und integraler Bestandteil der traditionellen Medizin, Religion und Psychotherapie (Wolff 2019:558). Heute konsumieren etwa 76 Ethnien in diesem geographischen Bereich weiterhin Ayahuasca, wobei diese ihre eigenen rituellen Rahmen um den Ayahuasca-Gebrauch entwickelt haben welche in engemZusammenhang mit ihrer Mythologie stehen (vgl. Presser-Velder 2000:108). Seit den 1930er Jahren ist auch ein vermehrter Konsum in westlichen Gegenden zu verzeichnen, insbesondere durch hauptsächlich in Brasilien entstandene synkretistische religiöse Bewegungen (vgl. Labate, de Rose & dos Santos 2008; Linhart 2015; Apud 2015; Dupuis 2018; Wolff 2019). 

Die Hauptbestandteile von Ayahuasca liegen in verschiedenen Pflanzen, die zum einen DMT(Dimethyltryptamin) enthalten, zum anderen MAO(Monoaminooxidase)-Hemmer,.Allerdings hängt die Zusammensetzung eines Ayahuasca-Getränks von verschiedenen Faktoren wie der Verfassung der Trinkenden, Anzahl und Art der Zusätze (Schultes & Hofmann 1980:122), Region, Umweltbedingungen, Intention der Einnahme, Vorbereitungen, sowie den ausführenden und teilnehmenden Personen ab (vgl. Illius 1991). Dennoch sind immer die zwei Bestandteile DMT und MAO-Hemmer in dem Pflanzensud enthalten. Meist übernimmt die Rolle des MAO-Hemmers eine Liane der Gattung Banisteriopsis, als DMT-Lieferanten fungieren die Blätter des Kaffeestrauchgewächses Psychotria virdis oder die Liane Diploterys cabrerana. 

Diese in den Pflanzen vorkommenden Substanzen ähneln in bemerkenswerter Weise der Chemie des menschlichen Gehirns und aufgrund dieser ähnlichen Grundstruktur können diese an den gleichen Stellen im Nervensystem andocken wie die körpereigenen Neurotransmitter und so die mit dem Nervensystem verbundenen Funktionen beeinflussen (vgl. Presser-Velder2000:67). „So werden beispielsweise Schaltungen oder Verbindungen geschaffen bzw. aktiviert, die in normalen Zustand nicht oder nicht in dieser Form vorhanden sind, oder normalerweise getrennte Prozesse stimuliert“ (ebd.), was zum „Zusammenbruch gewohnter Denkvorgänge“ (ebd.) führen kann. Neben der halluzinogenen Wirkung treten auch körperliche Begleiterscheinungen etwa 30-40 Minuten nach der Einnahme auf, wie „Hitze-oder Kältegefühl, leichte[r] Schwindel, Brechreiz, Durchfall, Muskelzittern und erhöhte[r] Puls“ (Linhart 2015:172), „das Gefühl von Schwerelosigkeit […], Herzklopfen, […] ein erhöhter Blutdruck […], Trockenheit im Mund, Schwächegefühl […], Schmerzen“ (Presser-Velder 2000:118). Diese körperlichen Erscheinungen stehen „im zentralen Mittelpunkt der schamanistischen Auffassung – Reinigung und Befreiung“ (Linhart 2015:175). “These side effects, however, are highly valued by both patients and healers who believe that the purge (as ayahuasca is called) acts as a cleansing agent that helps restore a sick person to health.” (deRíos 1970:296). Diese Effekte sind auch „wichtige Autoregulationsmechanismen, die oftmals verhindern können, daß der Effekt von Ayahuasca so stark wird, daß der Patient diesen nicht mehr kontrollieren kann“ (Presser-Velder 2000:118).

Die Wirkung von Ayahuasca beschäftigt Forscher:innen verschiedener Disziplinen, wie der Anthropologie, Psychologie, Psychotherapie, Religions-, Sozial-, Neuro- und Gesundheitswissenschaften, Pharmakologie, Ethnobotanik und Schamanismusforschung (Labate, de Rose & dos Santos 2008). Als eines der ersten und größten interdisziplinären Forschungsprojekte gilt das sogenannten Hoasca Project Anfang der 1990er Jahre, an dem diverse Universitäten und Institutionen aus Brasilien, den Vereinigten Staaten von Amerika und Finnland mit mehr als 30 Forscher:innen beteiligt waren. Die Ergebnisse dieser Studie, die die botanischen, chemischen, toxikologischen, pharmakologischen, neurologischen, klinischen und psychischen Folgen von Ayahuasca-Konsum an Freiwilligen erforschen wollte, wurden ab 1995 veröffentlicht.

Einige Proband:innen berichteten nach der Teilnahme an der Studie von „einer radikalen Umstrukturierung ihrer persönlichen Lebensführung und ihres Wertesystems“ (Linhart 2015:178), was zur Einschätzung von Ayahuasca als „eine therapeutisch wertvolle Medizin“ (ebd.:177) führte und dazu, Ayahuasca immer „mehr zu Heilung von Suchterkrankungen“ (ebd.:178) einzusetzen. Zu beachten ist allerdings, dass sich diese Forschungsbefunde auf Langzeitkonsumenten von Ayahuasca beziehen, das sample der Teilnehmenden sehr klein war, diese ausschließlich männlich waren und somit die Ergebnisse nicht als allgemeingültig betrachtet werden können. 

In einer ähnlichen Studie, die Anfang der 2000er Jahre an 40 Personen verschiedener Geschlechter durchgeführt wurde, kamen die Forscher:innen zu dem Ergebnis, dass, im Gegensatz zur Kontrollgruppe, die Personen, die Ayahuasca konsumiert hatten, “fewerpsychiatric symptoms“ aufwiesen, “more responsible, optimistic, respectful and concernedwith the well being of others“ erschienen sowie über “a lower frequency of confrontation and a better qualtiy of life at home“ zu verfügen schienen (Labate, de Rose & dos Santos 2008:58f.). Selbstverständlich können diese Studien nicht als repräsentativ für Ayahuasca-Erfahrungen generell gelten, sondern “should be seen for what they are: evaluations of initial experiences with the drink“ (ebd.:63), dennoch können diese Studien interessante Einsichten zum therapeutischen Potenzial Ayahuascas aufzeigen. Kurzum: „[K]linische Studien [belegen], dass die dauerhafte, längerfristige Einnahme des Tranks nicht gesundheitsschädlich oder giftig ist und auch nicht abhängig macht. Es konnte sogar ein dauerhafter, positiver Einfluss auf die physische und mentale Gesamtverfassung des Menschen beobachtet werden.“ (Linhart 2015:169).

Dieser aus den Pflanzen gewonnene Sud gilt in vielen indigenen Kulturen wegen seineraußergewöhnlichen Wirkung als „heiliger Trunk, […] Pflanzenlehrer und […] Verbindungs-/Kommunikationsmittel zu den Göttern und Ahnen sowie zu den anderen Wirklichkeiten“ (Linhart 2015:170). Die Einnahme ist immer mit einem Ritual verbunden, welches von einem Heiler oder Schamanen durchgeführt werden muss, der als curandero bezeichnet wird. Diese gebräuchlichste südamerikanische Bezeichnung leitet sich ab von dem Wort “curar“, was heilen bedeutet, und dem Begriff “curioso“, was mit neugierig zu übersetzen ist (ebd.:174), da Wissensdrang eine Grundvoraussetzung ist, um Heiler zu werden (ebd.:174). 

Der Schamane

Woher der Begriff des Schamanen kommt, treibt bis heute die Wissenschaftler:innen um und kann nicht eindeutig geklärt werden. Ob von den Pali und Sanskrit Begriffen „saman“ (Lied), „sram“ (aufheizen, erhitzen), „sramana“ (Asket) oder dem sibirischen Wort „saman“, das man übersetzen könnte mit „jemand der aufgeregt, bewegt oder erhaben ist“, ist bis heute nicht eindeutig geklärt (vgl. Kalweit 1999; Hultkrantz 1999; Krippner 1999; Heinze 1999, Fotiou2016). Auch die „Ansichten darüber, was ein Schamane ist, was er tut, was er kann, klaffen weit auseinander.“ (Schenk 1999:7). 

Da sich die Vorstellungen und Definitionen „des Schamanen“ mit der Zeit immer wieder gewandelt haben, ist es unmöglich, eine konkrete Beschreibung zu liefern, auch, da das Konzept des Schamanen weitaus komplexer und zu fluide ist, als dass es schriftlich festgehalten werden könnte. Was und wen man als Schamanen begreift, hängt immer von der persönlichen Perspektive aller Interaktionspartner:innen, dem Kontext, der Region und der Umwelt als Gesamtheit ab, weshalb ich hier Eduardo als Schamanen beziehungsweise curandero, spezifischer, als ayahuasquero, bezeichne, dies aber nur meine persönliche Wahrnehmung wiederspiegelt, wenn auch gestützt durch seine Selbstbe(/zu)schreibung. Auch bezüglich der “four Ds of shamanism“ herrscht Uneinigkeit, da nicht alle Forscher:innen, die sich mit Schamanismus im weitesten Sinne auseinandersetzen, der Überzeugung sind, dass „drumming, dancing, dreaming, and drugs“ (Krippner 1999:72) Techniken sind, um den “shamanic state of consciousness“ (ebd.) zu erreichen. Worin sich Forscher:innen, welche sich intensiv mit schamanischen Ritualen, Lebensweisen, Gebräuchen und Phänomenen beschäftigen einigen können, ist die Tatsache, dass es „bestimmte psychologische, transpersonale Motive gibt, die alle Schamanen und Kulturen eigen sind. Schamanentum ist kein historisches, kein kulturelles Phänomen, sondern ein grundlegend menschliches“ (Kalweit 1999:43), und dass das Schamanentum keineswegs ein Relikt aus einer anderen, prähistorischen Zeit ist, welches in einigen Kulturen bis heute überdauert hat. Manche Wissenschaftler:innen trauen dieser „Tradition“ sogar zu, dass „die Urpsychologen mehr über die Psyche wissen müßten als moderne Psychologen, die auf eine kaum 100jährige Tradition zurückblicken können. Die schamanische Kenntnis des Psychischen ist verquickt mit einer Kosmologie und Metaphysik, die die moderne Psychologie so weit hinter sich gelassen hat, daß ein Dialog kaum mehr möglich ist.“ (ebd.:44). „Dem Schamanismus wurde übrigens 1980 von der Weltgesundheitsorganisation in der Behandlung psychosomatischer Erkrankungen dieselbe Bedeutung zuerkannt wie der westlichen Medizin“ (Cremer 2007:129). 

Die Auffassung, dass in einigen Teilen dieser Welt Schätze verborgen liegen, die weit umfassender sind als die, die uns bis jetzt zugänglich sind, muss hier vorausgesetzt werden. Ebenso, dass man als Ethnolog:in dem Paradigma folgt, von anderen Kulturen lernen zu wollen, sich als Schüler:in zu begreifen und Weltkenntnisse fremder Menschen anzunehmen. Es gilt- nicht nur für die vorliegende Arbeit – ebenso: „Schamanentum bedeutet zuallererst intensives Erleben der eigenen schamanischen Transformation mit all ihren Tiefen und Höhen, also Leben in Reinform; das ist das Motto – Schamanentum kann nur erforscht werden durch sich selbst“ (Kalweit 1999:45; Hervorhebung im Original). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, da wir „nur verstehen können, wenn wir vergleichbare Erfahrungen in uns selbst gemacht haben“ (Schenk 1999:16), nahm ich an einem Ayahuasca-Ritual teil. Oder um es wie Christian Rätsch zu formulieren: „Die Wissenschaftler – vor allem diejenigen, die es nicht wagen, die heiligen Schamanenpflanzen an sich selbst zu erproben, verstehen nichts oder nur sehr wenig.“ (Rätsch 1999:259; Hervorhebung im Original). 

Memes auf Instagram

Apropos Christian Rätsch: wusstest Du schon, dass die Kulturschock einen eigenen Instagram-Channel pflegt, auf dem Ethno-Memes gepostet werden? Folge uns jetzt, damit Du nichts mehr verpasst!

Eduardo als ayahuasquero – Die Zeremonie

Eduardo ist einer der auf Ayahuasca spezialisierten curanderos, die auch als ayahuasquerosbezeichnet werden. Diese „Ayahuasca-Schamanen […] kennen sich mit höheren Wirklichkeiten aus, kommunizieren mit Geistern, wehren Hexerei ab und haben meist eine leidvolle, von Verzicht geprägte Ausbildung durchlaufen, die entbehrungsreiches Fasten, Isolation und die Einnahme von gefährlichen Pflanzen beinhaltet“ (Wolff 2019:561) und genießen so „unter den Heilern in der Regel das höchste Prestige“ (ebd.). Eduardo bot mir an, mit ihm diese besondere Erfahrung zu teilen und eine Ayahuascazeremonie mit mir durchzuführen. 

Zu diesem Zweck müssen die Teilnehmenden und der ayahuasquero bereits Tage vor dem Ritual eine „Diät“ durchführen. Diese besteht nicht nur aus strikten Ernährungsvorschriften, sondern kann auch sexuelle Enthaltsamkeit, Verzicht auf Medienkonsum und Meditationen miteinschließen (vgl. Luna 1985; Wolff 2019). Das Einhalten dieser vorbereitenden Maßnahmen ist unumgänglich, denn werden die Vorschriften nicht eingehalten, kann ein positiver Ausgang der Zeremonie nicht garantiert werden. Des Weiteren ist Eduardo dafür verantwortlich, mich mit Gesängen auf meiner „Wanderung“ zu begleiten. Diese „icaros“ können verschiedene Funktionen haben, beispielweise könne sie die hervorgerufenen Bewusstseinsänderungen verstärken oder abschwächen, Geister herbeirufen, Regen, Wind und Donner erzeugen, Krankheiten wie Schlangenbisse heilen (Luna 1985:190; Illius1991:173ff.), vor Interferenz schlechter Geistwesen schützen, die Diagnose erleichtern oder dabei helfen, die Liebe einer Frau zu gewinnen (Presser-Velder 2000:113).

Wichtige Faktoren für das gute Gelingen einer Ayahuasca-Zeremonie bestehen neben der gründlichen und gewissenhaften Vorbereitung jedes einzelnen Teilnehmenden und natürlich dem gut ausgebildeten Schamanen auch in dem vorherrschenden set und setting. Ayahuasca kann man nicht einfach wie ein Medikament gegen ein bestimmtes Krankheitssymptom einnehmen. Zwar sind die pharmakologischen Substanzen für die Halluzinationen verantwortlich, aber die ganzheitliche Erfahrung wird auch durch das set und setting geprägt. 
Beim set geht es um die innerpsychische Konstitution der Teilnehmenden, welche von deren Persönlichkeit und all den Einflüssen abhängt, die auf sie wirken und gewirkt haben (Rosenbohm 1991:9). Zu diesen Faktoren gehören auch die innere Einstimmung zu Beginn der Sitzung, aktuelle Begebenheiten im Leben der Teilnehmenden, Probleme die diese gerade beschäftigen oder schon weiter zurückliegende Eindrücke und Erinnerungen (Presser-Velder2000:75). Auch verdrängte Erlebnisse können sich wieder transformieren und erinnertwerden.

Setting ist aus der Bühnensprache entlehnt, bedeutet im ursprünglichen Sinne schlicht Bühnenbild (Rosenbohm 1991:9) und umfasst die Umgebung, den Ort, die Zeit und den Raum des Geschehens (Linhart 2015:177). In Zusammenhang mit der Einnahme bewußtseinsverändernder Mittel bezieht sich setting auf die Umgebung während des Konsums und bezieht auch atmosphärische Elemente, beispielsweise Musik, mit ein (Rosenbohm 1991:9). Marlene Dobkin de Ríos beschäftigte sich intensiv mit den settings und stellte vier Kategorien auf, die ich an dieser Stelle nur kurz anreissen möchte. Entscheidend seien biologische, psychologische, kulturelle und sozial-interaktionäre Faktoren. Die biologischen Faktoren beziehen sich auf die physische Kondition, wie Gewicht oder Ernährungsgewohnheiten, die psychologischen auf die Persönlichkeit der Teilnehmenden und deren Intention an der Teilnahme, die kulturelle nimmt Bezug auf Glaubens-und Symbolsysteme sowie auf nonverbale Zusätze, beispielweise Musik, Tanz oder Gerüche und die sozial-interaktionäre schließlich prägen vor allem die Situation der Einnahme (vgl. de Ríos 1975, 1984). Generell wird Ayahuasca nachts eingenommen, um Reize von außen zu minimieren, da Ayahuasca die Sinneswahrnehmungen schärfen kann (Rosenbohm 1001:158). 

Diese Komponenten zusammengenommen verändern das Denken, Fühlen, die Emotionen und Wahrnehmung, sowohl im Körpererleben als auch im Selbsterleben (Linhart 2015:177). 

Dies war auch bei mir der Fall. Eduardo und ich fuhren, zunächst mit dem Bus, anschließend mit einem Mototaxi, nach Pisaq, einer Stadt etwa zwei Stunden mit diesen Verkehrsmitteln von Cuzco entfernt. Eduardo entschied sich für diese Stadt, da dort seiner Meinung nach ein „besseres“ Umfeld für die Zeremonie herrschen würde. In Pisaq gingen wir, nachdem wir aus dem Mototaxi ausgestiegen waren, noch etwa eine halbe Stunde zu Fuß, bis wir vor einer großen Holztür angelangten. Diese wurde uns nach energischem Klopfen von einer zierlichen Frau geöffnet, die uns nach einer herzlichen Begrüßung zu einer Art Tipi führte.

Nachdem Eduardo alle für die Zeremonie benötigten Utensilien bereitgelegt hatte, begannen wir mit einer Reinigungszeremonie, bei der verschiedene Blätter, Sträucher und Kräuter, wie beispielsweise Rosmarinzweige, benutzt werden, um damit den Körper „abzufegen“ und von „schlechter Energie“ zu befreien. Anschließend begaben Eduardo und ich uns auf je eine Matratze, machten es uns im Schneidersitz bequem und Eduardo goss den dunklen Pflanzensud aus einer mitgebrachten Plastikflasche in die beiden Pappbecher. Er hatte mich bereits im Vorfeld zu meinem Gewicht und meiner Größe befragt, ebenso zu Vorerkrankungen und ob ich die dietas eingehalten hatte, um anhand dieser Angaben eine für mich verträgliche Menge abschätzen zu können. Nachdem er beide Becher gefüllt hatte, bat er Ayahuasca um eine gute, heilsame und lehrreiche Erfahrung, und wir tranken. Wir ließen uns auf die Matten niedersinken, bedeckten uns mit den Laken, und warteten. Durch Gespräche und Recherche im Vorfeld wusste ich, dass die ersten Anzeichen nach etwa einer Dreiviertelstunde zu erwarten seien. Als ich allerdings auch nach über einer Stunde keinerlei Wirkung verspürte und Eduardo dies zu verstehen gab, goss er mir noch einen weiteren Schluck in einen der Becher und bat mich, auch diesen zu trinken. Seiner Aussage nach war dies eine der sichersten Methoden, um eine Überdosierung zu vermeiden. „Nicht alles auf einmal, immer mehr herantasten, bis Mama Aya dich umarmt“, war seine Devise. Ich legte mich erneut auf die Matratze und wartete mit offenen Augen auf eine unvergessliche Erfahrung. 

Zeitwahrnehmung unter Ayahuasca-Einfluss

Zunächst passierte einige Minuten nichts. Bis dahin hatte ich die Zeit dank meiner Armbanduhr auch noch gut im Blick. Etwa eine halbe Stunde nach der zweiten Einnahme veränderte sich der Raum um mich herum, einige Gegenstände schienen näher zu kommen, wie die Tiger- und Jaguarfelle an der Wand, andere schienen sich aus meinem Bewusstseinsfeld herausstehlen zu wollen, wie die Muschel neben mir. Das Feuer fing an, wild zu flackern, mir wurde siedend heiß und ich musste die Decken von mir werfen und mich aufsetzen.

Diese Erfahrung prägt mich auch jetzt noch, ein Jahr später, und wird es wohl mein Leben lang. Das Gefühl, die Realität zu verlieren, keine Kontrolle mehr über seine Sinne zu haben, war eine der erschütterndsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Die gesamte Existenz war aufgelöst, ich war zunächst ein Mensch, dann ein Licht, dann nichts mehr. Ich verlor mich selbst komplett, um Stunden später „neu erschaffen, wieder geboren“ zu sein, wie Eduardo es nannte. Diese tiefgreifende Erfahrung, so Eduardo, integriert anschließend ein jeder anders in sein Leben, jeder auf seine eigene Weise, bewusst oder unbewusst. Die Intention, eine solche „Reise“ anzutreten, ist zunächst bei vielen ähnlich: Sie fühlen sich etwas verloren, suchen nach etwas, ohne zu wissen nach was genau, “in all probability forsomething they have lost – power, for example, […] or perhaps even themselves“ (Horwitz1999:217), treiben umher, sehnen sich nach etwas. Hier sehen sie Hilfe beim Schamanen: dem Heiler, dem „spirituell Anderen“, dem “premodern, spiritual, traditional, and sacred“ (Fotiou 2016:158), dem “timeless bearer[] of universal knowledge“ (ebd.), der ihnen den Weg zeigen kann, um am Ende dieses Weges hoffentlich zu finden, was sie suchen, Klarheit über ihre “personal direction in life, insights into their purpose and future“ (Winkelman 2005:214)zu erlangen. Dabei geht es nicht immer nur um spirituelle Hilfestellung, die Gründe, sich an einen Schamanen zu wenden, sind auch teils pragmatisch. “[…] people are concerned about their own and their family´s health, they seek solutions for problems in inter- and intra-personal relationships as well as career, business, longevity and fertility issues.” (Heinze 1999:91). 

Meine Gefühle anderen Menschen gegenüber haben sich verändert. Ich habe wieder Sinn im Leben, Freude und Interesse am Leben gefunden. Ich finde das unglaublich, wie jeder durch Ayahuasca das bekommt, was er braucht… Durch Ayahuasca habe ich mich wieder daran erinnert, […] daß ich schwere Situationen annehmen muß und daran arbeiten muß, diese zu überwinden.

(Presser-Velder 2000:185)

Der Schamane als Hilfsmittel für die eigene Seelenreise. 

Dieser Schamane bedient sich wiederum eines Hilfsmittels: Ayahuasca, welches, wie andere Halluzinogene, in der Lage ist, eine „tiefgreifende Veränderung des Wirklichkeiterlebens, [n]icht nur der Wahrnehmung der äußeren Welt, sondern auch die der eigenen Persönlichkeit“ zu bewirken, bedingt durch „eine Verschiebung der Empfindlichkeit der Sinnesorgane“ (Schultes & Hofmann 1980:176) und eine „beträchtliche Auswirkung auf die Wahrnehmung von Raum und Zeit oder auf die Auslösung von Emotionen“ (Linhart 2015:170) zur Folge hat. 

Nimmt man also Halluzinogene gewissermaßen als Werkzeuge wahr, die helfen können, die „Wirklichkeit“ zu verändern und zu erweitern, erscheinen „andere Ansichten oder Schichten von ein und derselben Wirklichkeit“ (Schultes & Hofmann 1980:176), die „zusammen die allumfassende, zeitlose, transzendentale Wirklichkeit“ bilden (ebd.). Diese Erlebnisse wurden und werden nach wie vor auf medizinische Weise verwendet, hauptsächlich, um durch eine „Erschütterung des angewohnten Weltbildes […] Patienten, die in einem ichbezogenen Problemkreis festgefahren sind, [zu] helfen, sie aus ihrer Fixation und Isolierung zu befreien“ (ebd.:177), was auch „eine größere Aufgeschlossenheit für psychotherapeutische Beeinflussung“ (ebd.:178) zur Folge hat und damit positive Auswirkungen auf den Behandlungserfolg. Die veränderte Wahrnehmung wird neurobiologisch darauf zurückgeführt, dass „das Gehirn unter Wirkung von Ayahuasca in bestimmten Regionen mehr durchblutet [wird] als in anderen. Es entsteht dadurch die Möglichkeit, auf Gehirnregionen zuzugreifen, die im «Normalzustand» nicht in Verwendung stehen“ (Linhart 2015:172). „Kontrollierende Instanzen“, die im „Normalzustand“ zwischen Intellekt und Affekt klar unterscheiden, werden unterdrückt und es kommt zum 

Zeitwahrnehmung und Arbeit mit Zeit in therapeutischen Kontexten

Von Geburt an nehmen wir einen Weg „in eine unbestimmte offene Landschaft […], die sich erst als bereits erlebte in der Rückschau entfaltet“ (Fischer 2018:462). Oft vergessen wir aber, dass unser Handeln in jedem Augenblick, im Jetzt, diese Rückschau erst möglich macht, man Regie führt über die Gegenwart und so erst die Retrospektive entsteht. Ohne Gegenwart keine Vergangenheit, ohne Gegenwart keine Zukunft, ohne Vergangenheit keine Zukunft und ohne Zukunft keine Vergangenheit – kurzum: Ohne das Jetzt kann es kein Vorher und Nachher geben. Diese Reflexion, „daß im Augenblick des Verstehens und der Integration des Vergangenen die zukünftige Veränderung möglich wird“ (Reister 2000:209), ist ein Kernthema therapeutischer Arbeit der Reautonomisierung. Oft können die mannigfaltigen Möglichkeiten, die uns die derzeitige pluralistische Welt in der wir leben offeriert, überfordern. Wir leben in einer beschleunigten Welt (vgl. Rosa 2005, 2012, 2013), haben ein überbordendes Angebot an Alternativen, verlaufen uns im Irrgarten der möglichen Ziele, zu erreichenden Vorhaben und haben das Gefühl, doch nie anzukommen und zu wenig Zeit zu haben, alle Optionen voll ausschöpfen zu können – und zu müssen. Die daraus resultierende Erschöpfung und Antriebslosigkeit kann als „Signatur der westlichen Gesellschaften jüngerer Zeit“ (Tornay 2019:96) angesehen werden, als „Schlüsselkrankheit und […] Kehrseite der Leistungsgesellschaft“ (ebd.). In dieser erschöpfenden Zeit passiert es leicht, das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit zu verlieren, das Gefühl zu bekommen, das „Ziel“ zu verfehlen, sich von sich selbst zu entfernen, Identitätsprobleme zu entwickeln (vgl. Rosa 2005, 2013; Fischer 2018:466). Diese „Identitätsdiffusion hat Krankheitswert: Wenn ich nicht weiß, wer ich bin, wenn ich mich nicht im Horizont meiner bis dato konkreten Vergangenheit und Zukunft orientieren kann, verliere ich mein leibliches Erlebens- und Handlungsvermögen und damit meine Gesundheit“ (Fischer 2018:438). Wie kann man nun Möglichkeiten schaffen, „im Jetzt anzukommen, die Vergangenheit neu zu interpretieren und die vergangene Zukunft durch eine neue zu ersetzen, nach der man sich richten kann“ (ebd.: 467), dieser Identitätsdiffusion entgegenzutreten? 

Das Hauptaugenmerk liegt hier auf dem reflektierten Umgang mit Vergangenheit und Zukunft, ob in der Medizin, der Psychotherapie, der Sozialen Arbeit oder in der Anwendung schamanischer Praktiken – die einige wohl als Konglomerat der drei erstgenannten bezeichnen würden. Das Resultat angewandter Hilfsangebote soll die Reautonomisierung darstellen, die aus drei Komponenten zusammengesetzt wird: Eine biographische Rekonstruktion, bei der erarbeitet wird, welchen Weg man bis dato eingeschlagen hat und wie dieser verlief; Ein kognitives Erkennen von nicht genutzten Optionen sowie erreichbaren zukünftigen Zielen; Und das Erlernen von kommunikativen Instrumenten und Kompetenzen, „um gemeinsam mit den Adressaten eine biographische Um-Konstruktion zu erreichen, die zur Re-Autonomisierung der Lebenspraxis und dem Rückzug der Professionellen aus der Fallarbeit führen“ (ebd.:469). Man arbeitet also sowohl retrospektiv, orientiert sich an der Vergangenheit, eruiert Erfolge und Misserfolge, den bisherigen Umgang mit Anforderungssituationen, erforscht bestimmte Erlebens- und Handlungszusammenhänge, als auch prospektiv, also ausgerichtet an der Zukunft, indem man verfügbare Optionen auslotet, „alternative[ ] Lesarten und alternative[ ] Handlungsmöglichkeiten“ (ebd.) darlegt und den Schwerpunkt auf die optionale Lebenspraxis legt. 

Die Schnittstelle

Genau hier liegt gewissermaßen der „Knackpunkt“, wenn man Reautonomisierungtherapien mit der Einnahme von Halluzinogenen verbindet, denn das erneute Durchleben von Erinnerungen und bisher verdrängten Inhalten kann sehr „befreiend für die Patienten [sein], da sie dadurch, daß sie sie nochmals durchlebten, zur Vergangenheit wurden“ (Presser-Velder2000:177).

Dadurch kann über bisher verdrängte Inhalte des eigenen Bewußtseins Aufschluss gegeben werden. „Die Ayahusca-Sitzungen scheinen in einer beeindruckenden präzisen Art und Weise Aspekte aufzuzeigen, an denen der Patient arbeiten muß.“ (Presser-Velder 2000:154). Bei der Einnahme von Ayahuasca „geht es eher um Dinge, wie sich zu entdecken, zu verstehen, warum man Dinge tut und Wege zu finden, das zu verändern, was nicht gut ist“ (ebd.:169). Das Halluzinogen wirkt nicht als Heilmittel per se, sondern als Katalysator, das „im Rahmen einer psychoanalytischen und psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt werden kann und das geeignet ist, diese wirksamer zu gestalten und die Behandlungsdauer abzukürzen“ (Schultes & Hofmann 1980:178) „oder einen neuen Ansatzpunkt für verfahrene und aussichtslos erscheinende Analysen [zu] liefern“ (Eigner & Scholz 1985:75). Durch die herbeigeführten Veränderungen der Denkprozesse und eine Verstärkung des Gefühlserlebens können intensive introspektive Erkenntnisprozesse angestoßen werden (Wolff 2019:556). Manche PatientInnen, die schon mehrere verschiedene Therapieansätze durchlaufen hatten und schließlich zu einer Therapie mit Ayahuasca bereit waren, konnten damit ihre Problematiken bewältigen. Ein Patient aus einem Zentrum, welches Ayahuasca-Therapie anbietet, erzählt: 

Mit der Zeit haben sich zwei Hauptverfahren herauskristallisiert. Die eine Form der therapeutischen Behandlung, bezeichnet als „psycholytische Therapie“, ist durch die Einnahme niedriger bis mittelstarker Halluzinogendosen an mehreren, mit zeitlichem Abstand folgenden Behandlungstagen gekennzeichnet (Chi & Gold 2020:1). Die Erlebnisse werden anschließend in Gruppengesprächen verarbeitet und teilweise mit Zeichentherapie, bei der die Bilder der „Reise“ visualisiert und anschließend analysiert werden, unterstützt. Bei der zweiten Behandlungsweise ist die eingenommene Menge an Halluzinogenen höher, dafür einmalig. Diese Form wird als „psychedelische Therapie“ bezeichnet und hat zum Ziel, „einen […] ekstatischen Zustand auszulösen, der als Ansatzpunkt für die Neustrukturierung der Persönlichkeit dienen soll“ (Schultes & Hofmann 1980:178). Ein:e Therapeut:in in einem Zentrum, welches vor allem Patient:innen mit Suchtproblematiken mittels Ayahuasca behandelt, schildert:

Beide Formen eignen sich aus meiner Sicht für die Arbeit in der Reautonomisierungstherapie, je nach Patient:innenwunsch und Anraten der Betreuenden, da beide dienlich sind, verdrängte oder verschüttete Erinnerungen wieder für die zu Behandelnden wahrnehmbar zu machen umanschließend bewusst damit arbeiten zu können. Durch die Einnahme bewusstseinsverändernder Substanzen, die „auf «unbekannte» Regionen […] [zugreifen können und daraus] «erweiterte Wahrnehmungen und Erkenntnisse»“ (Linhart 2015:172) gewinnen, können Probleme und Konflikte freigelegt und intensiver erlebt werden, werden somit deutlicher erkannt und können so zugänglicher für die Behandlung werden (Schultes & Hofmann 1980:178). Es können Zusammenhänge erkannt werden, „die noch nie zuvor aufgetaucht sind und der Person Einsichten vermitteln, die sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht realisieren konnte, da diese durch den Zugriff auf die speziellen Gehirnregionen noch «undenkbar» waren“ (Linhart 2015:172). Da Bewusstsein den inneren Rahmen vorgibt, in dem die Art und Weise, wie man die Welt kennt und in ihr lebt, interpretiert und verstanden wird, können Halluzinogene helfen, diesen Rahmen neu auszurichten und mit neuen oder verdrängten, bisher nicht bewusst wahrgenommenen Inhalten zu füllen (vgl. Krippner1999:79). “Taking advantage of this potential, and using altered states of consciousness […] is precisely what […] shamanic healing [is] all about” (Davis 1999:67), was an der Schnittstelle von Reautonomisierungstherapien und dem Einsatz halluzinogener Substanzen positive Erwartungen zulässt. Die Notwendigkeit, die Ayahuasca-Erfahrungen zu integrieren, fasst ein Arzt eines therapeutischen Zentrums, welches mit Ayahuasca arbeitet, wie folgt zusammen:

Nicht zu vernachlässigen ist aber auch die geistige Haltung der Patient:innen gegenüber den zu erwartenden Auswirkungen therapeutischer Behandlung, denn wie schon erwähnt, wirkt Ayahuasca als Katalysator, aber nicht als „Allheilmittel“, welches durch die Einnahme die Probleme des/der Patient:in schlicht beseitigt:

Der Schamane kann somit eine Hilfestellung anbieten und „ihn bei den einzelnen Heilungsschritten [begleiten], die der Heilungssuchende jedoch selbst beschreiten muss. Ohne Bereitschaft und Willen des Heilungssuchenden zur Änderung/Veränderung kann der Schamane nicht helfend wirken“ (Linhart 2015:175). Diese positive Erwartungshaltung gekoppelt mit dem Willen zur Veränderung spielt nicht nur bei schamanischen Ritualen, sondern bei allen Maßnahmen eine Rolle, die eine Verbesserung der psychischen oder physischen Verfassung zum Ziel haben. „Entscheidend ist, daß man sich wirklich heilen will. Ayahuasca kann einem viele Dinge zeigen. Der Rest hängt von dir ab.“ (Presser-Velder2000:186).

„Dass Ayahuasca eine Bereicherung auf verschiedenen Ebenen sein kann, bleibt unbestritten, und die zukünftigen Forschungsergebnisse wie auch die Offenheit der Menschen und der achtsame Umgang werden den weiteren Entwicklungsweg dieser speziellen Pflanzenmedizin bestimmen.“

(Linhart 2015:180)

Die Forschungsfragen und Methodik

Ayahuasca kann, bedingt durch seine chemischen Inhaltsstoffe sowie durch Hilfestellung mittels ayahuasqueros, das Zeitempfinden und die Zeitwahrnehmung seiner Anwender:innen zerrütten und verdrängte Inhalte wieder zum Vorschein bringen. In der heutigen beschleunigten Welt sollten wir darauf achten, nicht von Synchronisierungsproblematiken und Identitätsdiffusionen zerrieben zu werden (vgl. Fischer 2018, Rosa 2005, 2012, 2013). Retro- sowie prospektive Arbeit kann helfen, sich mit den Anforderungen an das Selbst auseinanderzusetzen und künftige Orientierung zu bieten. Es soll untersucht werden, wie die Arbeit mit Ayahuasca Verdrängtes hervorholen, bisher angewandte Mechanismen im Umgang mit schwierigen Anforderungssituationen und Handlungsbarrieren aufzeigen und dadurch zukunftsorientiert gearbeitet werden kann. Bereits existierende Projekte an der Schnittstelle Ayahuascakonsum und Reautonomisierungspraxis sollen untersucht und auf ihre Ergebnisse geprüft werden. Des Weiteren soll erforscht werden, welche Projekte sich in der Realisierungsphase befinden und dabei mit Betroffenen wie Ärtz:innen, Schaman:innen, Patient:innen und weiteren in den Prozess eingebundenen Personen gesprochen werden. Eine erste Anlaufstelle wäre hierbei das Zentrum Takiwasi, da diese auf eine lange Geschichte zurückblicken und damit hochinteressante Einblicke gewähren kann. Dieses Heilzentrum wurde als Pilotprojekt unter anderem von Dr. Jaques Mabit, einem französischen Schulmediziner, im Jahr 1992 als „clínica de tratamiento de adicciones“ (Dupuis 2018:342) gegründet um Suchtkrankheiten zu behandeln und „traditionelle“ Medizin näher zu untersuchen und einen „innovativen, integralen, effektiven, nebenwirkungsarmen, kostengünstigen und kulturell eingepaßten Ansatz zur Drogentherapie zu entwickeln“ (Presser-Velder 2000:84). „Generell bestehen die Aufgaben […] darin, die menschlichen und natürlichen Ressourcen der traditionellen Medizin einer Neubewertung zuzuführen und eine tatsächliche therapeutische Alternative […] zu entwickeln“ (Linhart 2015:178). Dieses Zentrum ist besonders in Kombination mit der Behandlung von Suchterkrankungen ein interessantes Forschungsfeld, da die „Erfolgsrate […] im Vergleich zu konventionelle[r] schulmedizinische[r] Therapie von Drogenabhängigen sehr hoch [ist]“ (ebd.). Schulmedizin kann in etwa eine „Erfolgsrate“ von 5% vorweisen, das Zentrum Takiwasi von 33% (ebd.), was den kompletten Verzicht auf Drogen nach Ayahuasca-Konsum in Verbindung mit einer Therapie betrifft. 68% der PatientInnen, die ihre Therapie planmäßig beendet haben, leben zwei Jahre nach dieser drogenfrei und führen ein „normales“ Leben (Presser-Velder2000:161). Der Schlüssel liegt bei der Therapie in der Bewusstmachung der Suchtursachen, induziert durch die Verabreichung von Ayahuasca, welche den Patient:innen dabei hilft, die tiefer liegenden Ursachen ihrer Sucht zu enthüllen (Linhart 2015:178), sich „auf sehr intensive Art mit den ihrer Sucht zugrundeliegenden Problematiken auseinanderzusetzen, […] ihre innere Welt zu erforschen“ (Presser-Velder 2000:141) und die so erschlossenen Ursachen aus dem Unterbewussten in der daran anschließenden Therapie zu beseitigen (Linhart 2015:178).

Wie schon eingangs erwähnt, benötigt diese Art der Forschung den Zugang durch sich selbst. Ohne die persönliche Erfahrung ist das Erlebte schlichtweg weder begreifbar noch beschreibbar, erst die Erfahrung ermöglicht ein tiefes Verständnis der Materie. 

Des Weiteren sollen die Methoden der Teilnehmenden Beobachtung, der Dichten Teilnahme, informelle Gespräche und Interviews angewandt werden, wobei in diesem Forschungskontext vor allem narrative und biographische Interviews von Interesse sind. Das Ziel ist es, einmöglichst stimmiges Gesamtbild durch ein Verweben der eben angesprochenen Methoden zu erhalten, wobei Widersprüche und Brüche auftreten können und werden. Da es um subjektive Perspektiven gehen soll, wird eine qualitative Datenerhebung in den Vordergrund gestellt und eine Methodik gewählt, mittels derer das Untersuchungsthema aus der subjektiven Sicht der Befragten zu erfassen ist und dem Erleben der Befragten die Begrifflichkeit wissenschaftlicher Konstrukte nicht übergestülpt und damit „das Fremde wegerklärt wird“ (Presser-Velder 2000:88). Das Set an Interaktionspartner:innen wird hauptsächlich aus Schaman:innen, Therapeut:innen, Ärzt:innen, Mitarbeiter:innen der verschiedenen Institutionen sowie Patient:innen bestehen, bevorzugt aus dem bereits erwähnten Zentrum Takiwasi, aber auch anderen Anlaufstellen im Bereich „Therapie mit Ayahuasca“. Auch generell in die Prozesse eingebundene Personen sollen die Möglichkeit erhalten, Stellung zu nehmen und sich zu äußern, wie beispielsweise ehemalige Patient:innen, angehende Schaman:innen vor wie auch während der Initiation oder Angehörige der verschiedenen Interaktionspartner:innen. 

Um die Befragungen erfolgreich durchzuführen, wird schon im Voraus ein umfassender Leitfragebogen erarbeitet, welcher den zu befragenden Personen je nach Situation und Kontext angepasst und während dem Forschungsverlauf weiterhin um Fragen ergänzt oder reformuliert wird. Auch werden die informellen Gespräche eine erschöpfende Informationsquelle darstellen, da hierbei die Struktur von den Interviewten ausgeht und so Raum bleibt für neue Inspirationen. Da Zentren wie das Takiwasi oft über eine umfangreiche Dokumentation ihrer Arbeiten verfügen wäre es wünschenswert, Einblick in diese zu bekommen, um so die Ergebnisse der teilnehmenden Methodik mit diesen zu verweben und in einen breiteren Kontext einbetten zu können. Selbstverständlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Zuge der Durchführung noch weitere Fragen auftauchen, bereits geklärte Sachverhalte verworfen und neue Details ins Auge gefasst werden. Dies stellt meiner Meinung nach aber eher ein als wünschenswert einzustufendes Ereignis dar, um so einer vorzeitigen Beharrung auf ein starr festgelegtes Thema entgegenzuwirken und die favorisierte emische Sichtweise beibehalten zu können. 

Ebenso interessant wäre eine Analyse von Websiten diverser Anbieter, die Ayahuasca-Therapien anbieten und hierbei der Fokus darauf zu legen, mit welchen Informationen oder Versprechen auf diesen Seiten geworben wird, um Interessenten für ihre Angebote zu gewinnen (vgl. Beyer 2012:3). Hierbei können auch Verbindungen und Querverweise zum sogenannten „Ayahuascatourismus“ gezogen werden, bei welchem die Zahlen der Anwender:innen mittlerweile rapide ansteigen (Fotiou 2016, insb. 160ff.; de Ríos 2005), auch angestoßen durch Berichte in Massenmedien, wie beispielsweise in Fernsehshows oder Publikationen im National Geographic Travel (Salak 2006 in Fotiou 2016:161; vgl. Beyer 2012). Auch der Sänger Sting reflektiert in seiner Autobiographie über seine Erfahrungen mit dem Pflanzensud (Wolff 2019:555). Hier wäre eine Einbettung in Akkulturationstheorien vor allem in Zuge der fortschreitenden Globalisierung eine erkenntnisreiche Herangehensweise (vgl. Kehoe 2000; Feinberg 2003; Zick 2010; Sam & Berry 2006; Strang 2011; Waldron & Newton 2012), auch in Verbindung mit vorwiegend politik- und wirtschaftsethnologischen Perspektiven im Bereich von Kommerzialisierung (vgl. Wallis 2003; Meyer & Royer 2001 ). Auch das Verweben mit Techniken und Formen der Akkulturation seitens Angehöriger der Ethnie, welcher man den Gebrauch von Ayahuasca zuschreibt, welche aber „traditionell kein Ayahuasca nahmen, sondern es sich ebenfalls angeeignet haben und es nutzen, um ihre Kultur zu revitalisieren“ (Fotiou 2016:166; Übersetzung meinerseits), und deren „Vermarktungsstrategien“ (vgl. Langdon & Santana de Rose 2012) ist hier miteinzubeziehen(vgl. Langdon 2016). 


Eine interdisziplinäre Arbeit wäre äußert wünschenswert, da diese in bisherigen Studien zu Ayahuasca gewinnbringende Ergebnisse erzielen konnte und die „Seelenranke“ als bio-psycho-soziales Phänomen (Labate, de Rose & dos Santos 2008:76) anzusehen ist, dem am besten transdisziplinär begegnet werden kann. Innerhalb der Ethnologie bieten sich die Ethnobotanik, die “psychological anthropology“, die Medizinethnologie und Strömungen an, die sich mit körperlichen Erfahrungen beschäftigen, wie beispielsweise die sensory ethnography (vgl. Pink 2009; Arantes & Rieger 2014; Braun et al. 2017). Auch unter ritual- und religionsanthropologischen Gesichtspunkten kann sich eine Beschäftigung mit Ayahuasca oder Halluzinogenen im weiteren Sinne als gewinnbringend erweisen und neue Denkanstöße bieten. Als Forschungsrichtungen, die sich für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit eignen, sind die Soziologie, Psychologie, Pharmakologie, Medizin, Rechts-, Religions- und Gesundheitswissenschaften in breiterem Verständnis zu nennen, um eine “adequate view of ayahuasca“ zu gewährleisten (Labate, de Rose & dos Santos 2008:76). 


Gastautorin: Alexandra Kinder (LMU)