Afritecture
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Afritecture. Wie existiert sie und welchen Bezug hat sie zu Felwine Sarrs Afrotopia?

Diese Hausarbeit “Afritecture. Wie existiert sie und welchen Bezug hat sie zu Felwine Sarrs Afrotopia?“ von Rudolf Urban entstand im Regionalseminar Senegal unter der Leitung von Dr. Kristin Kastner, im WiSe22.

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Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung

2 Prinzipien der Afrotopie nach Felwine Sarr

2.1 Allgemein

2.2 Wirtschaftlich

2.3 Sein Denken von Stadt – übertragbar auf Architektur?

3 Afrotopia und Architektur

3.1 Afritecture – was kann das sein?

3.2 Afrique durable – Nachhaltigkeit

3.3 Perspektiven – vor Afrotopia

3.4 Perspektive – Afrotopisch

4 Fazit

5 Schluss

Die verwendete Literatur befindet sich im PDF.

1 Einleitung

Während der Durcharbeitung von Felwine Sarrs Essay Afrotopia stellte ich mir immer wieder die Frage, ob das Vorhaben, das Denken eines ganzen Kontinents im Kontrast zu Europa rückwärtsgewandt zu analysieren und vorwärtsgewandt neu zu erfinden im Sinne einer positiven Utopie, nicht etwas zu groß gegriffen ist und somit zu abstrakt oder zu wenig anschaulich. Die Idee, diesen großen Wurf anhand eines anwendungsbezogenen Themenbereichs detaillierter unter die Lupe zu nehmen, erschien mir naheliegend. Ich griff den Vorschlag auf, die afrikanische Architektur als Anwendungs- und Untersuchungsbeispiel zu nehmen, da in diesem Fall die Theorie, der Entwurf und die Ausführung bis hin zur Fertigstellung prozesshaft verwoben sind. Betrachtet wird der Zeitrahmen ab der politischen Unabhängigkeit der betreffenden Nation bis hin zur Gegenwart. Eine gedachte Zäsur stellt 2016 als das Erscheinungsjahr von Afrotopia dar, das eine Zeiteinteilung vor und nach Afrotopia ermöglicht. So kann die Frage verfolgt werden, ob es eine Wechselbeziehung gibt zwischen Sarrs ‚Philosophie‘ und deren Anwendung in der afrikanischen Architektur, die hier auf Westafrika beschränkt bleibt, im Idealfall auf den Senegal. Anfangs stellte es sich als schwierig heraus, passende Quellen zur Architektur zu finden, insbesondere wenn die oben genannte Zäsur berücksichtigt werden soll. 

Für den theoriegeleiteten Teil stellte sich das als Begleitung zur Ausstellung ‚Afritecture‘ herausgegebene Buch von Filip Boeck mit dem Titel “Challenges of Urban Growth. Toward an Anthropology of Urban Infrastructure in Africa” als grundlegend hinsichtlich der aufgeworfenen Fragen zur Einordnung und Bewertung von afrikanischen Architekturen  dar. Zum selben Thema liefert das Buch “Bauen mit der Gemeinschaft”, herausgegeben von Andres Lepik anlässlich der Ausstellung “Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“ im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne 13. September 2013 bis 12. Januar 2014, die anschaulich dokumentierten Architekturbeispiele. Die ‘vor-afrotopische’ Periode der afrikanischen Architekturen wird im Buch von Caroline Melly mit dem Titel “ETHNOGRAPHY ON THE ROAD: INFRASTRUCTURAL VISION AND THE UNRULY PRESENT IN CONTEMPORARY DAKAR” hinsichtlich der politischen Realität des Straßenbaus in Dakar mit dem Label ‘unruly present’ beschrieben. Die symbolische Darstellung der nationalstaatlichen Unabhängigkeit ist der zentrale Fokus des Buchs “African Modernism. The Architecture of Independence” des Herausgebers Manuel Herz.

Nach einer knapp gefassten Zusammenfassung der zentralen Ideen Felwine Sarrs soll die Idee des Afrotopia für eine Afrikanische Architektur (Afritektur) in Form von Leitfragen analysierbar und bewertbar gemacht werden. Auch der wichtige Themenkomplex von Nachhaltigkeit in einem ‘Afrique durable’ soll beleuchtet werden. Nach einer Beschreibung und Einordnung des zugegebenermaßen etwas idealtypischen Konstrukts der vor-afrotopischen und afrotopischen Vorstellungen sowie praktischen Ausprägungen im Bauen erfolgt eine zusammenfassende Bewertung. 

2 Prinzipien der Afrotopie nach Felwine Sarr

2.1 Allgemein

Es bedarf der Konstruktion und Entwicklung eines afrikanischen, eigenständigen Denkens und daraus folgender Afro-Identität mit Visionen und Modellen bezüglich einer eigenständigen afrikanischen Wirtschaft, Politik und Kultur. Der Kultur wird in dieser intelligenten Revolution eine maßgebliche Rolle zuerkannt (Kulturrevolution). Damit ist ein kreativer Prozess gemeint, der Tradition mit Moderne, westliches Denken mit afrikanischem Denken, Individuum mit Kollektiv, Natur mit Kultur verbindet. Dieser schöpferische Aufbruch aller Beteiligten soll allein dem Wohlbefinden jedes einzelnen Menschen in Afrika dienen. In seinem großen panafrikanischen Wurf hat er die Regionalität und Lokalität wohl mitgedacht, jedoch nicht benannt: die je einzelne Geographie sowie Umwelt, Geschichte, Tradition, Ethnien und Sprachen, generell das lokale sozio-ökonomische, kulturelle und politische Umfeld.    

2.2 Wirtschaftlich

Seiner Neuen Wirtschaftspolitik schreibt er wesentliche Forderungen ein: Es gilt die Wechselwirkungen zwischen Ökonomie, Ökologie, Kultur, Philosophie und speziellen Zielen sozial-ethischer Natur zu beachten. Seine Absage an den homo oeconomicus heißt konkret:  Der Homo Africanus ist kein homo oeconomicus. Die Ökonomie wird als kultureller Prozess verstanden und somit als Relationale oder Beziehungsökonomie.

2.3 Sein Denken von Stadt – übertragbar auf Architektur? 

Im Zuge des Konzepts von Kultur und Kreativität reiht er neben die Stadt auch die Architektur ein, die in Analogie wie folgt verstanden werden kann: „Es gibt eine technische Interpretation der Stadt (Urbanistik, Verwaltung), aber auch eine soziale und eine symbolische. Die Stadt kann als Ort gedacht werden, aber auch als Territorium, oder als Kreislauf und organische Totalität. Sie ist ein lebendiger Körper, in Wachstum und Wandel begriffen. Afrikanische Städte sind Territorien, ihre Konfiguration ist eine dynamische. Aktuell vollzieht sich in ihr eine soziale, kulturelle und demografische Neuordnung. Die Dynamiken, deren Trägerin die Stadt ist, hängen unmittelbar zusammen mit dem Weltbild der Menschen, die in der Stadt nicht einfach nur leben, sondern sie bewohnen.“ Das Ziel dieses Konzepts ist es, die Stadt als Menschenwerk par excellence zu sehen und ihr den Raum zu geben „in dem sich individuelles und gesellschaftliches Leben verwirklichen und miteinander verzahnen.“

3 Afrotopia und Architektur

3.1 Afritecture – was kann das sein?

Um das Konzept Afrikanische Architektur besser begreifen und einordnen zu können, ist es nötig das analytischen Vorgehen mit einem sinnvollen kategorialen Raster zu unterlegen. Filip de Boecks Leitfragen, wie sich städtisches Wachstum (Urban Growth) einordnen und bewerten lässt, mögen hierfür im jeweiligen Kontext als wegweisende Kriterien stehen: 

Wie kann mit den zentralen Begriffen von Urbanität (urbanity) und Stadt-Sein (Cityness) umgegangen werden?

Wer gehört zur Stadt oder hat diesbezüglich ein Recht?

Wo sind hier die Demarkationslinien?

In welchem Umfang können diese Begriffe ihre Bedeutung im aktuellen afrikanischen Umfeld behalten?

Wie kann der spezifische Umgang mit diesen Grenzen Macht und Chancen generieren?

Was bedeutet das für die Formierung neuer „Klassen“ (new class formations) in diesem Umfeld?

Wie lässt sich die Lücke verstehen und überwinden, die zwischen der professionellen Architektur sowie Stadtplanung und der Vor-Ort-Situation mit den Praktiken des alltäglichen Stadtlebens und -überlebens besteht?        

3.2 Afrique durable – Nachhaltigkeit

Ein immer essentieller werdendes Kriterium auch für Afrika ist Nachhaltigkeit.

Dies adressieren mit großem Nachdruck Patrick Brandful Cobbinah and Michael Addaney, wenn sie sagen, dass „[t]he importance of understanding and taking actions towards sustainable development in rapidly urbanising Africa cannot be overemphasised in the 21st century. History and current patterns of urban development in Africa hold many lessons for the future. “  Das gilt sowohl für die rasant anwachsenden Städte als auch – besonders in Afrika – für die ländlichen Gebiete.      

3.3 Perspektiven – vor Afrotopia

In den späten 1950er bis zu den frühen 1960er Jahren erlangten eine Vielzahl afrikanischer Staaten die Unabhängigkeit. Eine der oft eingeschlagenen Varianten, mit denen sie ihre frisch errungene nationale Identität ausdrückten, war mit Hilfe einer unverwechselbaren Architektur. Öffentliche Gebäude wie Parlamente, Stadien, Universitäten, Zentralbanken, Kongresszentren, ebenso wie Wohnviertel wurden in gewagtem, manchmal gar heroischem Aussehen errichtet als Zeichen einer leuchtenden Zukunft. In diesem Kapitel soll an erster Stelle die Beziehung zwischen hypermodernen Architektur-Projekten und dem Prozess des Nation Building im Senegal anhand von Photographien beleuchtet werden. Neben dieser politisch-symbolischen Intention hatte die Architektur mit dem Anspruch der Modernisierung und Entwicklung auch immer die Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation und des Lebensstandards im Sinn. Die folgenden Buchausschnitte mögen mit den jeweils dokumentierten Architekturbeispielen exemplarisch für einen bestimmten konkret gefassten Zweck stehen.

3.3.1 Zentralbank, Dakar

Abbildung 1: Banque Centrale des etats de l’Afrique de l’Ouest

Neben dem Prestigegewinn als politische Nation und Zentralbank für das Gesamte Westafrika (BCEAO) ist auch die Einbindung in das panafrikanische und globale Finanzsystem von großer Bedeutung. Es erleichtert den transnationalen Handel durch Teilnahme am internationalen Zahlungsverkehr und an die internationale Kreditvergabe. Zudem stellt es eine Investition in die nationale Infrastruktur dar mit positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, sowohl beim Bau als auch beim Betrieb. Geplant und erstellt wurde dieses Projekt von den senegalesischen Architekten Cheikh N’Gom und  Pierre Goudiaby Atepa vermutlich in den Jahren 1975 bis 1990.

3.3.2 Internationales Messezentrum, Dakar

Abbildung 2: Foire Internationale Fidak Dakar, Dakar

Zusätzlich zu den bereits oben beschriebenen positiven Aspekten eines Investment stellt diese internationale Messe einen Anreiz für nationale und internationale Austeller auf der Anbieterseite und Besucher auf der Seite der Nachfragenden dar. Die Fidak Dakar wurden 1974 geplant und erstellt vom Architektenteam Lamoureux (Kanada) und Marin et Bonamy (Land unbekannt).

3.3.3 Wohnblock Faycal, Dakar

Abbildung 3: L’immeuble Faycal, Dakar

Ein Wohnensemble investiert in die Zukunft des Wohnungsmarkts und stellt für die rapide wachsende Stadtbevölkerung Wohnraum zur Verfügung. 

Geplant und erstellt wurde dieses Projekt von den senegalesischen Architekten Cheikh N’Gom im Jahr 1984.

3.3.4 Sport Stadion Abdoulaye Wade

Abbildung 4 Stade de Diamniado, Stade Abdoulaye Wade

Abbildung 5 Farbvideo. Inauguration du Stade Abdoulaye Wade

Ein absolutes Prestigeprojekt des amtierenden Präsidenten Macky Sall, das die Größe der Nation und seines Präsidenten darstellen soll. Die farbenprächtige Inaugurationsfeier erhält durch die Anwesenheit des türkischen Präsidenten Erdogan, des FiFa Präsidenten Infantino internationalen Charakter und Bedeutung. Die politische Vergangenheit wird gewürdigt, indem dem architektonisch gelungenen Bauwerk der Name des vorhergehenden Präsidenten Abdoulaye Wade verliehen wird. Hier kann der panafrikanische und internationale Fußball zelebriert werden und viele Besucher aus Nah und Fern anziehen. Der Fußballwettkampf selbst ist ein nationales Geschehen. Es sei in diesem Zusammenhang an den begeistert bejubelten, erstmaligen Sieg gegen den langjährigen Champion auswärts in Kameruns Hauptstadt Yaounde erinnert. „Senegal holt den Afrika-Cup nach Elfmeter-Krimi gegen Ägypten“ am 6.2.2022.

Der Bau des Stadions wurde 2020 begonnen und 2022 vollendet. Der leitende türkische Architekt war Tabanlıoğlu Mimarlık. Das olympische und Nationalstadion liegt im neuen Baugebiet Diamniadio, etwa 30 km östlich von Dakar. Der Baustart für Diamniadio Lake City erfolgte 2014. Das gesamte Projekt soll 2035 fertiggestellt werden und Wohnraum für etwa 350,000 Bewohner*innen in über 16 qkm bereitstellen. Zur Erschließung dieser Stadt und zur Behebung des permanenten Stauproblems wurde 2009 mit dem Dakar-Diamniadio Highway Project begonnen, das Ende 2014 fertiggestellt wurde und mit einem Mautsystem ausgestattet ist. So schließt sich der Kreis zwischen Dakar, der neuen Verkehrsinfrastruktur und der futuristischen Smartcity Diamniadio.

Was Caroline Melly in ihrem kritischen Resümee über die Verkehrsinfrastruktur gesagt hat, kann vermutlich auch auf das Mega-Bau-Projekt Diamniadio bezogen werden, wenn sie schreibt:

[J]ust as controversial roads become taken-for-granted features of the urban with time, so too do the inequalities and exclusions they reinforce. Dakar’s scale road projects were just as much about rationalizing present argue, as they were about professing spectacular expectations for an impossibly distant future. The architects of this historical moment saw roads as facts, disruptions as temporary, and near-future planning as unnecessary, once built, the roads themselves would effect long-term change. Nonetheless, ethnographic encounters make clear the limits of these rationalizing highlighting instead the unruliness of the present moment and the incompatibility of Dakarois‘ experiences and narratives of urban change and state commitment. These observations thus underscore the need for ethnographic research attentive to the presentist logics that accompany futuristic visions of infrastructural change. This kind of work might, in turn, illuminate the broader shifts and displacements that result as the once ‚exotic‘ rhetorics of restructuring (Guyer 2007) are cemented as standard elements of economic landscape.Nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass die hier genannten Projekte dem Kriterium der Nachhaltigkeit kaum Stand halten. Speziell für Bauprojekte ist die Kritik an derartigen Mega-Projekten gut ausgedrückt in einer Veröffentlichung des Deutschen Kulturrats: „Diamniadio Lake City, Akon-City, Eko-Atlantic. Das Image der westafrikanischen Stadt der Zukunft ist weitgehend geprägt von Wolkenkratzern und wundersamen architektonischen Konstrukten. Wer die Gelegenheit hatte, diese futuristischen Städte aus der Luft zu betrachten, dem fällt jedoch auf: Trotz aller Herrlichkeit wirken sie wie künstliche Implantate aus einer anderen Welt, losgelöst von ihrer Umgebung. Diese Stadtmodelle aus Beton, Stahl und Glas mögen Modernität, Fortschritt, Nachhaltigkeit symbolisieren – allerdings tun sie das, typisch kolonial, in westlichem Sinne.“

3.4 Perspektive – Afrotopisch

Keine Angst vor westlichen Ideen und Technologien, doch vertrauen auf die eigene Kultur und deren traditionelle Technologien, zugleich Ökonomie, Ökologie, Politik sowie Kultur als untrennbares Geflecht sehen und als Ziel die Städte nebst ihren Bauwerken zu einem Ort des menschlichen Lebens machen – individuell und gesellschaftlich – wo es sich für alle gut leben lässt. So könnte man Felwine Sarrs afrotopisches Konzept des humanen Gestaltens zusammenfassen.

Damit und gerade auf Grund der geographischen und klimatischen Lage Westafrikas ist klar, dass Bauen ohne Nachhaltigkeit keine Zukunft hat. Dieser Schwerpunkt wird im Artikel mit dem bezeichnenden Titel ‚Zurück in die Zukunft. Nachhaltige Architektur in Westafrika‘ auf den Punkt gebracht:

„Wie die Materialien selbst sind sie ein Importprodukt und „berücksichtigen kaum das lokale Klima, die Besonderheiten der afrikanischen Stadt und noch weniger das architektonische Erbe, das wir in Afrika haben“, prangert die Architektin Nzinga Biegueng Mboup an. Mboup, die in England und Südafrika studiert hat, lebt in Senegal und beschäftigte sich zuletzt umfassend in einer Studie mit „Traditionen und Trends in der nachhaltigen Architektur in Westafrika“. Auch der UNESCO-Beauftragte für Stadtentwicklung und Kultur in Westafrika, Pierre Wenzel, sieht Zement und Stahl als Inbegriff von Kolonisation und Globalisierung. „Diese exogenen Modelle und Materialien werden nun in Frage gestellt“, sagt Wenzel.  

Nzinga Biegueng Mboup gehört zu einer Reihe von westafrikanischen Architekten, Verbänden und Organisationen, die sich einer neuen Nachhaltigkeit widmen: Weg von Dubai-Imitaten, hin zu einer Bauweise, die die afrikanischen Traditionen aufgreift und modern umsetzt. „Bauen muss zu einem Werkzeug werden, das lokale Ressourcen fördert und die Abhängigkeit von importierten Materialien reduziert“, sagt die senegalesisch-kamerunische Mboup. Zudem gilt Zement in der Herstellung als umweltschädlich, bescheinigt Wenzel, und ist insbesondere thermisch schlecht an das dortige Klima angepasst.“

3.4.1 Khamsa House – résidence privée en terre au Sénégal, Atelier Koé

Abbildung 6    Khamsa House- Private Lehmziegel-Villa, Senegal

Abbildung 7    Khamsa House – Nachhaltigkeitskonzept

Wie auf den Bildern oben zu sehen, fließen natürliche Umgebung, künstlicher See und ästhetische Baugestaltung harmonisch ineinander. Die Benutzung der vor-Ort Ressource Erde zum Fertigen von Lehmziegeln unterstreicht die Nachhaltigkeit dieses Projekts. Die Einbindung lokaler Kunsthandwerker in der Bauphase fördert den dortigen Arbeitsmarkt und stellt zugleich den Bezug zur regionalen afrikanischen gestalterischen Tradition her.   

Die herausragende ästhetische Gestaltungskraft nebst verwirklichter Nachhaltigkeit kann im Bild unten bewundert werden.

Abbildung 8     Khamsa House – Licht, Wasser, Natur

Geplant und erstellt wurde dieses Projekt von der nigerianischen Architektin Rakiétou Quattara zusammen mit dem Atelier Koé (Jahr unbekannt).

3.4.2 La maison-modèle de Porto-Novo, Benin

Abbildung 9    Ökologisch, künstlerisch, den afrikanischen Traditionen verbunden

Abbildung 10    Ökologisches Prinzip und Energie-Management

Wie bereits aus den Bildern oben ersichtlich, stellt dieses Vorhaben eine meisterhafte Verbindung aus Ökologie, ästhetischer architektonischer Baugestaltung nebst gelungener Einbindung des lokalen Umfelds und afrikanischer Traditionen dar. High-Tech verbündet sich mit Tradition, modernste modulare Konstruktion mit Ökologie.

Abbildung 11    Lehmbau mit einheimischen Handwerkern. Lediglich die Fundamente sind aus Beton

Einheimische Handwerker arbeiten mit lokalen Ressourcen, Materialien und Techniken.

Geplant wurde dieses Projekt von dem Architekten Romain Boboe (jetzt: Quebec) und erstellt vom lokalen Architekten Jean Paul Houndeffo aus Benin (jetzt: Grenoble).

3.4.3 Chirurgische Klinik – Burkina Faso, Architekt Francis Kéré

Abbildung 12    Medizinisches Zentrum in einer armen Region mit inspirierender Architektur, die für die Menschen da ist.

Im Bild oben ist ein Klinikbau zu sehen, der die soziale Fürsorge der Gesellschaft und des Staates dokumentiert.

Abbildung 13    Entlastung für die Stadt Leo (ca. 50 000 Einwohner) einschließlich des Umlands

Die architektonische Gestaltung im obigen Bild zeigt nicht nur die Unterstützungsfunktion als Infrastruktur sondern auch das Miteinbeziehen der besuchenden Menschen, die durch die weit vorgezogenen Dächer Schutz vor Sonne und Wetter haben und gleichzeitig einen Wartesaal im Freien.

Abbildung 14    Lokale Arbeiter werden beschäftigt und fortgebildet. So bekamen sie Folge-Jobs.

Der Einsatz lokaler Arbeiter*innen einschließlich deren Fortbildung vor Ort ist ein Dienst am Menschen und fördert den lokalen Arbeitsmarkt.

Abbildung 15    Modulare Struktur. Mauern aus komprimierten und sonnengetrockneten Lehmziegeln

Die modulare Bauweise ermöglicht Vorfertigung, Wiederverwertbarkeit und kann die Bauzeit verkürzen. Die Verwendung von Lehmziegeln und Holz aus der Region unterstreicht die nachhaltige Funktion.

Abbildung 16    Natürliche Klimatisierung, Regenzisternen und Wasseraufbereitung durch eigene Solarenergie.

Die Anpassung an die geographische Lage durch eine Mischung aus traditionellen und modernen Technologien zur Klimatisierung, Wasserspeicherung und -aufbereitung zeugt von Nachhaltigkeit und Einbeziehung traditioneller Techniken.

Geplant und erstellt wurde dieses Projekt von dem Architekten Francis Kéré (geboren in Burkina Faso, jetzt: Berlin) zusammen mit dem Atelier KERE ARCHITECTURE im Jahr 2014.

4 Fazit

Stadt- oder Dorfleben (Urbanity oder rurality) lässt sich mithilfe einer literatur- oder quellengestützten Arbeit nicht erfassen. Der Charakter oder die diversen Ausprägungen der jeweiligen Architekturformen und -konzepte sind oben exemplarisch dargestellt und eingeordnet worden. Die Zugehörigkeit zu einem Bauwerk in Stadt oder Land ist nicht nur über dessen Funktionalität bestimmt, wie etwa Krankenhaus oder Fußball-Stadion, sondern auch über die ins architektonische Konzept eingeflossenen Gedanken und Werte, die wiederum die jeweilige Gestaltung vor Ort bedingen. Generell hat wohl jeder Mensch Zugang zu diesen Orten. Aber formales Recht bedeutet nicht zugleich, dass Menschen mit fehlendem Bildungshintergrund aufgrund von zum Beispiel Berührungsängsten nicht ausgeschlossen sind, wie auch Menschen aus prekären Verhältnissen, weil sie schlicht das benötigte Geld nicht aufbringen können.

Die Setzung einer Demarkationslinie oder einer gedanklichen Zäsur hat sich methodisch als hilfreich erwiesen, wenn auch nicht im Sinn einer zeitlichen Trennung, sondern einer inhaltlichen anhand der Grenzziehung ‚Vor-Afrotopisch‘ versus ‚Afrotopisch‘ im Sinne von Felwine Sarr. Hier scheidet sich afrikanische Funktionalität nach westlicher Prägung mit afrikanischen Einsprengseln von einem ganzheitlichen afrikanischen Neuentwurf, der keine Berührungsängste kennt – auch nicht vor dem Westen – und der sich im Grunde nur dem Wohlergehen jedes afrikanischen Menschen und dessen Gesellschaft verpflichtet fühlt. Speziell am Beispiel ‚Diamniadio-Stadion‘ ließe sich im Zusammenhang mit den Themen Macht und Chancen mit starkem Ausschlag hin zu Macht und Prestige des Staates von einer ‚Macht-Architektur‘ sprechen. 

Hingegen haben die afrotopischen Architekturen den Anspruch, den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden, wie etwa am Beispiel Krankenhaus gezeigt wurde. Sie könnten als ‚Mensch-Architekturen‘ bezeichnet werden.

Es sei noch angemerkt, dass die oben genannten Architekt*innen zwar in hohen Umfang aus der Region stammen, aber zu großen Teilen ihre Qualifikation an einer westlichen Universität erworben haben oder gar im Ausland wohnen und arbeiten, obwohl sie Projekte in ihrer Region durchführen. Das zeigt den Mangel an Möglichkeiten, eine Architektur-Ausbildung an heimischen Universitäten zu machen. Dies wurde erkannt und gerade entwickeln sich zögerlich westafrikanische Architektur-Hochschulen. Mit regional ausgebildeten und dort lebenden heimischen Architekt*innen ließe sich die bestehende Lücke verstehen und überwinden, die zwischen der professionellen Architektur sowie Stadtplanung und der Vor-Ort-Situation mit den Praktiken des alltäglichen Stadt/Land-Lebens und -überlebens besteht.

5 Schluss

Es wäre nun an der Zeit nach Westafrika aufzubrechen und diese Arbeit mit ethnographischen Daten zu unterfüttern bzw. zu konfrontieren. Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung und anderen adäquaten Methoden könnten Licht sowohl in die aktuelle Situation des Architektur- und Bauwesens vor Ort bringen als auch das Leben der Menschen mit der lokalen Architektur in Stadt und Land. Was denken sie, wie fühlen sie, was brauchen sie bzw. was geht ihnen ab?

Die moderne Afrikanische Architektur ist bei uns in der breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Diese Arbeit hat ein Licht auf ihre wegweisende Kreativität, Identität und Nachhaltigkeit geworfen.

Wie divers, kreativ und an vielen Orten aufstrebend Afrika ist, das zeigt im Detail der „Architectural Guide: Sub-Saharan Africa“, ein Atlas der afrikanischen Architektur, herausgegeben vom Berliner Architekten Philipp Meuser. Man glaubt ihm gerne, wenn er konstatiert, sie sei in der Tat ein Vorbild, auch für Europa.Zufällig ist heute am 16.2.22 ein Artikel über Francis Kéré in der Süddeutschen Zeitung erschienen, eine Laudatio auf ihn mit dem Untertitel „Architekt und neuer Pritzker-Preisträger“. Darin ist zu lesen, dass „Francis Kéré nun als erster schwarzer Architekt den mit 100 000 Dollar dotierten Pritzker Preis [erhält], die wichtigste Auszeichnung, die es in der Architektur jährlich zu vergeben gilt.“ Am Ende des Artikels ist sein bisheriges Lebenswerk wie folgt verdichtet gewürdigt: „Mit … den so schlichten wie schönen Gebäuden … hat der Architekt nichts weniger als das Vorbild für eine gerechtere Zukunft geschaffen.“