Invasive Arten & die Koloniale Arche Noah
Invasive Arten & die Koloniale Arche Noah

Invasive Arten & die Koloniale Arche Noah

Invasive Arten & die Koloniale Arche Noah

Eine Hausarbeit von Felix Keilhack; korrigiert von Prof. Dr. Frank Heidemann im Seminar „Indischer Ozean“, SoSe 2021.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Definition des Begriffs der „invasiven Arten“

Semantische Analyse

Beispiele von invasiven Arten

Weiterführende Gedanken & Fazit

Schluss

Die verwendete Literatur befindet sich im PDF.

Einleitung

Die berühmt, berüchtigte Hasenplage Australiens ist eine der absurdesten und unterhaltsamsten Geschichten menschlicher Naivität. 1859 importierte Thomas Austin zu Kolonialzeiten 24 Hasen nach Australien, um in der kargen Vegetation des Kontinents ein paar Jagdziele für den unterhaltsamen Schießsport einzuführen (Menozzi 2014, S.189). Allerdings resultierte schon bald aus wenigen Schießzielen eine Plage sich vermehrender Karnickel, die sich wie eine Welle durch den australischen Busch fraßen. Der Hase als eigenständiger Akteur imitierte in gewisser Weise den Eroberungsdrang des Kolonialismus (ebd., S.191ff.) und fiel in die Kategorie der invasiven Arten. 

Ob „Globe-trotting organisms” (Coates 2007, S.5), „wild foreigners” (S.6), „ecological explosion” (S.6), „transplanted nature” (S.8) oder „transported landscapes” (S.8) – Peter Coates findet immer wieder humorvolle Beschreibungen für invasive Arten. Doch was genau sind invasive Arten? Was zeichnet den Begriff „invasiv“ aus? Diese Hausarbeit portraitiert aufgrund des problematischen Begriffs der „Invasion“ den Untersuchungsgegenstand der invasiven Arten. Die Arbeit behandelt die Fragestellung, inwiefern der vermeintlich biologische Begriff der „invasiven Arten“ anthropologischen Ursprungs ist. Das methodische Vorgehen der Hausarbeit beginnt mit einer Definition des kategorischen Begriffs der „invasiven Arten“, setzt mit einer semantischen Analyse fort, veranschaulicht dies anhand zwei ausführlichen Fallbeispielen und endet mit einem Fazit sowie einem weiterführenden Gedanken. Ziel der Arbeit ist es den Leser zu bewegen, invasive Arten sowie dessen begriffliche Verwendung umzudenken. 

Definition des Begriffs der „invasiven Arten“

Invasive Arten sind Lebewesen, die durch anthropogene Einflüsse außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes in ein anderes Milieu eingeführt wurden. Das Glossar der Konvention für biologische Diversität beschreibt “Invasive Alien Species” (IAS) als „alien species which becomes established in natural or semi-natural ecosystems or habitat, [which] is an agent of change, and threatens native biological diversity” (Menozzi 2014, S.182). Mithilfe von Daniel Lunneys Werk Pest or Guest: The Zoology of Overabundance erklärt Menozzi die Akkumulation einer einzigen Lebensform, ihre Okkupation der natürlichen Ressourcen sowie die Verhinderung der Koexistenz verschiedener Lebewesen als essentielle charakteristische Merkmale für invasive Arten (Menozzi 2014, S.183). Nach Menozzi läge der Kern der Definition nicht in der Migration bestimmter Arten und dessen Verdrängung lokaler Lebewesen, sondern in der Überfülle partikulärer Akteure, die nicht unbedingt nationale Grenzen überschreiten müssen. So berichtet ein Artikel von Nature Communications, dass in den USA die größte Gefahr invasiver Arten zwischen den Staaten besteht, statt von außen (Cook, De Barro, Paini, Thomas, Worner 2010). Im Hinblick auf den Fokus der Hausarbeit, berücksichtige ich bei den invasiven Arten als Forschungsgegenstand insbesondere die anthropogenen Dimensionen: die „human agency“ (vgl. IUCN 2000) ist ein wichtiger Bestandteil einer vollständigen Definition invasiver Arten, da unter anderem die Verkehrsinfrastruktur sowie die kommerziellen Bedürfnisse des Menschen Indikatoren für die Mobilität sowie Deplatzierung bestimmter Lebewesen darstellen.

Seit Anbeginn der Zeit transportierte der Mensch Güter, Pflanzen sowie Tiere als Handelswaren (u.a. auch Krankheiten und Viren), ob bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt. Sumerische Quellen berichten, dass schon im Jahre 2300 v.Chr. zwischen Indien und dem Persischen Golf reger Handel per Segelschiff stattgefunden hat; dabei importierte etwa 1000 v. Chr. eine Expedition vom König Solomon Pfauen von der Malabarküste Indiens nach Phönizien ins heutige Israel, Libanon und Syrien (Forbes 1979, S.134). Eine Studie von Picker und Griffiths über 571 analysierte, invasive Tierarten informiert, dass heutzutage Wirbeltiere größtenteils intentional und wirbellose Tiere zu 84% unbewusst nach Südafrika importiert wurden (Griffiths, Picker 2017). Hulme markiert drei wichtige Phasen der exzessiven Diffusion invasiver Arten in der Menschheitsgeschichte (Hulme 2009): Gegen Ende des Mittelalters im 15. Jahrhundert bildeten die Wiederentdeckung der drei Amerikas und die Entstehung des Kolonialismus die erste Initialzündung. Nach 1800 begann das Zeitalter der Industrialisierung, in der Migrationswellen ausgelöst, Produktionsprozesse dezentralisiert und die Verkehrsinfrastruktur durch den Bau von Eisenbahnschienen, Straßen sowie Kanälen eingerichtet wurden. Letzteres sei die beste Voraussetzung für eine progressive Ausbreitung invasiver Arten. Zudem scheint die Einführung universeller Formen der Agrikultur sowie der Anbau von Monokulturen die biologische Invasion zu begünstigen (vgl. Menozzi 2014, S.194). Gleichermaßen wuchs der Bestand invasiver Arten in Südafrika bei der Entdeckung von Diamantvorkommen in Kimberley und Gold im Witwatersrand-Gebirge für eine neue Bergbauindustrie (Griffiths, Picker 2017, S.2,6). Zuletzt ist die Ära der Globalisierung im 21. Jahrhundert der Kulminationspunkt für die biologische Invasion, zumal eine stetige Vernetzung und ein frequenter Güteraustausch zwischen entfernten Staaten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, insbesondere leicht zu übersehende wirbellose Tiere, wie Insekten, als blinde Passagiere mitzunehmen (Hulme 2009). 

Baier und Bergstrand erkennen, dass Einkommenswachstum und Transporteffizienz in Beziehung zum Einfluss der biologischen Invasion stehen (Baier & Bergstrand 2001. In: Hulme 2009). Diese beiden Faktoren bestimmen die globalen Wechselwirkungen zwischen zwei bestimmten Regionen und das quantitative Ausmaß des Austauschs. Mit einer Kapitel-Überschrift „Follow the money“ benennt Hulme die Korrelation zwischen Kapitalwachstum, die Investition in Infrastruktur, den kommerziellen Import von Konsumwaren und zuletzt der Einführungsrate von invasiven Arten (Hulme 2009, S.11ff.). Die leichtsinnige, unvorsichtige Distribution von Waren erhöht das Risiko von unbewussten sowie unerwünschten blinden Passagieren und bildet potenzielle Korridore für invasive Arten. Hulme bezeichnet diese Korridore als „pathways“ und identifiziert beispielsweise Container als Transportmittel dessen Innenraum sowie Oberfläche unbeabsichtigt Lebewesen mobilisieren kann (Hulme 2009). Besonders gewählt drückt sich Hulme aus, dass in einer „idealen Welt“ Wissen über Waren, ihrem Ursprung sowie Reiseziel und ihre Wirkung auf das Importland dazu beitragen kann, das Risiko a posteriori zu mindern, kollaterale Schäden anzurichten (Hulme 2009, vgl.S.13). Mithilfe sogenannter „Risk maps“ können zukünftige Risiken visualisiert bzw. Probleme provisorisch verhindert werden (Hulme 2009, S.15).

Nicht ohne Grund werden invasive Arten im jeweiligen Heimatland als „unerwünscht“ oder „Pest“ kategorisiert; sie überschreiten meist eine nationale Grenze und verursachen vielzählige Veränderungen in der Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft sowie in den verschiedenen Ökosystemen. Unter anderem richten invasive Arten große wirtschaftliche Schäden an und sind deshalb mit hohen Kosten verbunden. Ein Artikel der Nature Communications schätzt die ökonomischen Kosten pro Jahr auf 120 Mrd. USD in den USA und 13 Mrd. USD in Europa. Auch die lokale Umwelt leidet unter den Einflüssen dominierender Eindringlinge, die durch ihre Überlegenheit eine Gefahr für die Biodiversität darstellen. Darüber hinaus kann das Ausmaß der Zerstörung verheerende Folgen haben, nicht nur für die Biosphäre, sondern auch für die Lithosphäre oder den Wasserhaushalt des Planeten. Exzessive Verdrängung von tief-verwurzelten Pflanzen können Erdrutsche oder Lawinen auslösen; eine Vegetationsabnahme kann irreversible Bodenschäden verursachen und den Wasserkreislauf unterbrechen. Gesellschaft und kulturelle Bräuche müssen sich den Umständen anpassen. Dabei sind Ökosysteme auf Inseln am meisten und stärksten durch invasive Arten gefährdet (Hulme 2009, S.12).

Semantische Analyse

Der vermeintlich objektive Begriff der biologischen Invasion entpuppt sich als ein subjektives Attribut zur Bezeichnung nur bestimmter Lebewesen und ist gleichzeitig Träger von Emotionen, kulturellen Werten sowie wirtschaftlichen Erwartungen. Der Begriff „Invasive Arten“ ist negativ konnotiert und markiert durch seine Semantik ein Problem, das bewältigt werden muss. Die Akzeptanz bestimmter Arten sowie die Intoleranz gegenüber anderer basiert auf sozialen, kulturellen und ökonomisch, ökologischen Faktoren. Daraufhin stellt sich Coates folgende Fragen: „How do we weigh up what is good and bad in nature? Clean and dirty? Healthy and unhealthy? Beautiful and ugly? How do we determine what is natural (and native) in nature? How do we measure improvements and losses in nature? […]” (Coates 2007, S.5).

1997 definierte der US-Präsident Jimmy Carter invasive Arten als Lebewesen, die historisch nicht natürlich auftreten (Coates 2007). Den Status „historisch natürlich“ schrieb Carter der Vegetation sowie den Tieren zu, die vor der Besiedlung der Europäer in Nordamerika existierten. Allerdings ist diese Definition problematisch; zum einen fehlt hinreichendes Wissen über die ursprüngliche Biosphäre vor dem 16. Jahrhundert, zum anderen waren auch schon die Indigenen Völker Amerikas Invasoren der amerikanischen Kontinente (Coates 2007, S.11). Falls es tatsächlich einen statischen Begriff der nativen Natur geben sollte, so fand bereits bis heute eine irreversible Veränderung der amerikanischen Biosphäre statt, die der „ursprünglichen“ kaum mehr gleichen würde. Nach Coates seien selbst die großen Säugetiere als Wahrzeichen der amerikanischen Nationalparks, wie Grizzlybär, Elch sowie Büffel, invasive Arten (Coates 2007, S.11-12).

Der relativistische Begriff „invasiv“ entsteht durch die Dichotomie aus „alien“/fremd und „native“/heimisch (vgl. Menozzi 2014, S.183). Ergo überschreiten invasive Arten als Fremdkörper von außen nach innen eine Grenze und siedeln sich auf dem heimischen Boden an. Als Folge unterliegt das Gastland einem konsequenten Wandel. Im Umkehrschluss waren auch die Europäischen Siedler invasiv:

The arrival of Europeans in Australia actually exploded a capsule of accelerating change; it initiated a process that was much less peaceful and more radical and oppositional than “settlement”, although that term itself had muted dimensions of conquest. Now “settlement” has become re-envisaged as “invasion.” (Griffiths 1997. In: Menozzi 2014, S.184)

Die Bezeichnung „settlers“ entsteht durch die Trennung der „conquerors“ von bloßen „immigrants“ (vgl. Mamdani 2001. In: Menozzi 2014, S.185); sie spiegelt ein Machtgefälle zwischen aktive Erobernde und passive Eroberte, die sich nicht auf Augenhöhe begegnen. Die Erobernden verankern die Legitimität ihrer Anwesenheit mithilfe einer semantischen Definition in der Sprache und die Eroberten können keinen Einspruch einwenden. Die Initiative, einen Vorgang oder bestimmte Lebewesen als „invasiv“ zu bezeichnen, ist also nicht nur an die Perspektive der Menschen gebunden, sondern ist auch Ausdruck von Macht. Diese Macht kommt zum Vorschein, insbesondere wenn ethnische Gruppen unterdrückt und marginalisiert werden.

Aus dem Drang der Menschen sich durch eine In- & Out-Gruppe identifizieren zu wollen, sieht Coates eine gewisse Parallelität zwischen der Wahrnehmung der menschlichen Immigranten und invasiver Arten im Heimatland (Coates 2007, vgl. S.4ff.: „nature of exclusion“). In Bezug auf invasive Arten spricht er von „American anxiety“, die vermutlich durch eine ökologische Identitätskrise ausgelöst wird (Coates 2007, S.3ff.). Absurderweise tragen erstaunlich viele Pflanzen und Tiere ihre vermeintliche Herkunft oder sogar eine Staatsbürgerschaft im Namen: „English and German ivy, Scotch broom, Australian pine, Andean pampas grass, European gorse, Chinese tallow, Russioan thistle, […]Canada thistle […] English sparrow, German carp, and Argentine ant” (Coates 2007, S.12). Eine wortwörtliche Definition der invasiven Flora und Fauna nach ihrer hypothetischen Nationalität ist genauso problematisch, wie eine Zeitpunkt-orientierte statische; es wäre naiv zu glauben, dass die Natur ortsgebunden sei oder nationalen Kacheln folgt. Seit den 1920er Jahren ist die Intoleranz gegenüber nicht-menschlichen Immigranten größer als gegenüber menschlichen Immigranten, weil Menschen de juro einen legalen Status erlangen können, viele invasive Arten hingegen de facto nur inoffiziell einreisen können (Coates 2007, S.10). Hinsichtlich der „sparrow controversy“ wird der nationale Status der Tiere sowie Pflanzen durch ius sanguinis (Abstammungsprinzip) und nicht durch ius soli (Geburtsortprinzip) bestimmt, ganz im Gegenteil zu den menschlichen Immigranten in den USA (Coates 2007, S.7ff.).

Im Hinblick auf die Nationalität unterliegen insbesondere invasive Arten dem Anthropomorphismus – dem Prozess menschliche Eigenschaften auf die Natur zu übertragen (Coates 2007, S.16; Van Sittert 2002). Der Mensch lädt seine Umwelt emotiv auf und interpretiert in ihr eine Differenz von „gut“ und „böse“. Mit dem Wunsch die Natur zu dominieren und einer meist materialistischen Mentalität transformiert er Flora und Fauna oft nach kulturellen Werten sowie Idealen. Worster erklärt: „what we mean by nature is inescapably a mirror held up by culture to its environment, a mirror reflecting itself” (Worster 1996. In: Van Sittert 2002, S.413).

Beispiele von invasiven Arten

In der Theorie gibt es vier verschiedene Möglichkeiten mit welcher Intention „fremde“ Tier- und Pflanzenarten in ein Land eingeführt werden können: (1) bewusst & gewollt; (2) bewusst & ungewollt; (3) unbewusst & gewollt; (4) unbewusst & ungewollt. So sei (1) zum Beispiel die bewusste Introduktion der Robinie („black locust“) in Kalifornien, die während dem Goldrausch ab 1848 gewollt als Windschutz sowie gegen Erosionsgefahr gepflanzt wurde (Coates 2007, S.12). Genauso gehören europäische Nutztiere, wie zum Beispiel Kühe, Schweine, Schafe sowie Ziegen, zum bewusst eingeführten Repertoire des Kolonialismus; sie scheinen zudem gewollt, obwohl sie auf direkte sowie indirekte Weise ihre Umwelt negativ beeinflussen. Schweine können durch ihre Anwesenheit das native Habitat modifizieren und vulnerable Arten, wie Fledermäuse, ausrotten (vgl. Butchart, Croll, Holmes, Huff, McCreless, Spatz, Tershy, Wilcox 2016, S.6ff.). Szenario (2) sei zwar die bewusste, jedoch unfreiwillige sowie ungewollte Einführung des allgegenwertigen Begleiters des Menschen – die Ratte. Zu Szenario (3) gehören der Buckellacks sowie die Kamtschatka-Königskrabbe; sie entkamen sowjetischen Forschern und gelangten aus dem nördlichen Pazifik unbewusst nach Norwegen, waren zunächst nicht willkommen aufgrund ihrer Veränderung der Flora und Fauna und werden nunmehr als gewollte Delikatesse wahrgenommen (vgl. Hermann 2021). Zuletzt sei (4) jegliche Form von Insekt mit destruktivem Charakter genannt (vgl. Cook, De Barro, Paini, Thomas, Worner 2010). Auffällig ist nun, dass in den meisten Fällen die Szenarien (2) & (4) vom Menschen als „invasiv“ bezeichnet werden, (1) & (3) jedoch nicht. Obgleich im Beispiel aus Szenario (3) die Kamtschatka-Königskrabbe in der Kontroverse zunächst als „invasiv“ deklariert wurde, verliert sie derzeit den kritischen Status hinsichtlich ihres Nutzens. Daraus lässt sich ableiten, dass die Bestimmung einer invasiven Art primär durch den Willen und die Interpretation des Menschen geschieht. Ob eine fremde Tier- oder Pflanzenart gewollt ist, lässt sich zum Beispiel durch die Konsequenzen für die lokale Wirtschaft erörtern. In der Praxis existieren aber nicht immer eineindeutige Beispiele von bewusster und gewollter Introduktion; im Folgenden präsentiere ich zwei Beispiele von invasiven Arten, die einem anthropomorphen Wandel unterlagen:

Der Feigenkaktus namens Opuntia ficus-indica war zunächst ein willkommenes Gewächs des Kolonialismus im 18. Jahrhundert, eingeschleppt etwa aus Mittelamerika zur Benutzung als eine Art „lebendiger Zaun“ im westlichen Kap Südafrikas; darüber hinaus erfüllte die Pflanze ästhetische Zwecke der Exotik (Van Sittert 2002). Von einem Bauern namens Van der Berg wurden um 1750 zwei Opuntia-Blätter auch im östlichen Kap eingepflanzt, um aus den Kaktusfrüchten einen hausgemachten Brandy zu gewinnen (ebd., S.399ff.). In der exzessiven Expansionsphase der Kolonialmächte gen Norden begann eine landschaftliche Transformation durch zehn Grenzkriege gegen die Einheimischen von 1778 bis 1878 sowie durch die Errichtung einer industriellen Infrastruktur (ebd.). Nicht zuletzt trug auch die Haltung von Schafen zu einer flächendeckenden Bodenerosion bei (ebd., S.400). Der Feigenkaktus füllte aufgrund seiner evolutionären Angepasstheit an Klima, Bodenverhältnisse sowie Wasserbestand eine ökologische Nische in der ariden Vegetation Südafrikas und gelang mithilfe der verfügbaren Korridore problemlos in weite Teile des Landes (ebd.). Vögel, Schafe, Affen, Wildschweine und viele andere Tiere der Savanne erfreuten sich an den Früchten des Gewächses und trugen ihre Kerne an anderen Orten aus (ebd., S:402). Nicht zuletzt förderte eine große Flut im Jahre 1874 zur Verteilung der Opuntia-Samen das rapide Wachstum der Kakteen (ebd., S.402). Diese manifestierten sich in der Sprache u.a. als „Mexican marauder“ (Van Sittert 2002, S.401) – übersetzt: „mexikanische Rumtreiber“. Der Feigenkaktus mutierte allmählich zu einer Plage, versetzte die kolonialen Siedler in Panik und eskalierte zu einem Schaden der pastoralen Ökonomie. Die Grundstückswerte sanken und der Boden schien für die bisherige Agrarwirtschaft unbenutzbar zu sein. Obwohl die Früchte des Feigenkaktus essbar sind und aus ihnen Essig, Zucker, Sirup, Hefe, Seife, Papier sowie Alkohol hergestellt werden kann, gewann Opuntia ficus-indica ein negatives Image; die Regierung beschloss daraufhin, der Plage ein Ende zu setzen (Van Sittert 2002, S.406ff.). Weil Brandrodung eine umso dichtere Renaissance von Feigenkakteen verursachen würde, mussten die oft 4 Meter hohen sowie 1 Tonne schweren Pflanzen mitsamt Wurzeln ausgegraben werden, um effektive Ergebnisse zu erzielen (ebd., S.403ff.). Auch wurde mit Gift experimentiert, was die ursprüngliche Vegetation ebenfalls vernichtete, die Böden nachhaltig verseuchte und die Gesundheit der Arbeitenden angriff (ebd.). Nichtsdestotrotz scheint eine moderate Kultivierung von Feigenkakteen zur Herstellung von zahlreichen Produkten auch positiven Anklang in der Gesellschaft gefunden zu haben, parallel zur unerbittlichen Vergiftungsstrategie (ebd.). Auch seien die Früchte der Pflanze für die Viehhaltung während Dürrezeiten gut zu gebrauchen (ebd., S.411ff.). 

Opuntia ficus-indica ist ein Beispiel für die bewusst-gewollte Einführung einer dekorativen, ausländischen Pflanzenart, die im Laufe der Zeit als „invasiv“ klassifiziert wurde, weil sie weder den kolonialen noch den kapitalistischen Erwartungen entsprach. Im Vergleich zu europäischen Agrarformen erwies sich die mäßige Kultivierung der Feigenkakteen in Südafrika als profitabel. Viele Bauern nehmen den Feigenkaktus deshalb positiv wahr (Van Sittert 2002, S.412ff.). 

Einen ähnlichen anthropomorphen Wertewandel erfuhr auch der englische Spatz in den USA (Coates 2007, S.28ff.). Von 1850 bis 1870 befiel eine Krebswurm-Plage (Engl.: „cankerworm“) die urbanen Bäume von Bosten über New York bis nach Washington, D.C. Daraufhin wurde der englische Spatz aus England rekrutiert und zuerst am Greenwood Friedhof in Brooklyn ausgesetzt, um die Städte vom Übel zu befreien (ebd.). In der Literatur sei der fremde Vogel sehr positiv empfangen worden (Coates 2007, S.36ff.). Der Spatz behob das Problem der Plage, änderte jedoch seine Futtervorliebe; er suchte sich das Nahrungsmittel aus, das er mit dem geringsten Arbeitsaufwand pro Zeitintervall beschaffen konnte, und entschied sich für Getreide sowie Früchte (ebd.). Das Resultat veranlasste Susan Fenimore Cooper 1868 zur Annahme, dass die englischen Spatzen öffentliche Haustiere von New York seien „on account of their usefulness in clearing the trees from insects” (Coates 2007, S.36). Als der Krebswurm Mitte der 1970er das New Yorker Habitat zurückeroberte, verlor der längst heimisch geborene Spatz sein positives Image (ebd.). Der englische Spatz wurde als dreckig beschimpft (vgl. „bird of street and gutter“, Coates 2007, S.38), der Abflussrohre verstopfte, Wasser verschmutzte und Krankheiten diffusionierte. Auch sei der Spatz faul geworden, weil er seiner ursprünglichen Arbeit Würmer zu fressen nicht mehr nachging, sondern stattdessen als zuverlässige Nahrungsquelle Körner aus dem Pferdekot pickte (ebd.). Unter anderem wurde der englische Spatz umgangssprachlich „street Arab“ genannt (vgl. Coates 2007, S.38), um mithilfe von Vorurteilen gegenüber marginalisierten Arabern die Alltagskriminalität des Vogels zu beschreiben. In der Sparrow-Kontroverse ist der Vogel bis heute bekannt als ein Symbol und „as a vehicle for venting anti-English feelings“ (Coates 2007, S.34). 

Der englische Spatz ist ein Beispiel für die gescheiterte Domestizierung der Natur und die anthropomorphe, emotive Aufladung eines Vogels, dessen Bedeutung sich gewandelt hat. Seine Introduktion geschah bewusst und gewollt; als der Vogel die gesellschaftlichen Erwartungen nicht erfüllte, wurde er mit dem Label „invasiv“ etikettiert.

Weiterführende Gedanken & Fazit

Die ersten europäischen Siedler auf den neu entdeckten Kontinenten hatten ideale Vorstellungen von einer optimalen Landschaft und gewisse Ansprüche an die Natur (vgl. Kirchberger 2020, S.114ff.). Einerseits waren sie offen gegenüber neuen Möglichkeiten der Lebensumstände, andererseits veranlasste sie der Missionierungsgedanke fremde Kulturen zu „zivilisieren“ und die Umwelt für eine ökonomisch profitable Nutzung zu modifizieren. Gleichzeitig sollte die Umwelt ästhetisch ansprechend wirken und Heimweh-Gefühle durch die Wiederherstellung einer heimischen Idylle lindern (ebd.). So vermissten viele Europäer zum Beispiel das Gezwitscher europäischer Vogelarten (Coates 2007, S.35). Analog zu den Neuankömmlingen, die ihre Umgebung gestalten wollten, wurde der Kontinent ausgiebig als Experimentiertisch für neugierige Wissenschaftler benutzt, um die vermeintlich „unberührte“ Natur zu entwickeln (Kirchberger 2020, S.114ff.). Praktische Nutztiere wurden als Freunde des imperialen Projekts gesehen (ebd., S.116); nicht jedoch das Insekt Icerya purchasi, das aus Europa inoffiziell nach Australien mitreiste und daraufhin wertvolle Plantagen zerstörte (ebd.). Die Natur zu bändigen schien auf „limits of eco-engineering“ zu treffen und die menschlichen Fähigkeiten zu übertreffen; die invasive Flora und Fauna ist eine eigenständige Agency, dessen Ergebnisse meist unvorhersehbar sind (ebd., S.124). „When man plays God and interferes with the natural order, things do not always go according to plan and dramatic changes happen, leading only to more human intervention” (Lorre-Johnston 2018, S.112). Trotz dogmatischer Warnungen sich dem Ebenbild Gottes anzunähern, gibt es in der Menschheitsgeschichte einige Gegenbeispiele für die Erschaffung einer sekundären Vegetation; nordische Völker nahmen Bienen mit auf ihre Expeditionen – „how else were they supposed to recreate the biblical land of milk and honey?” (Coates 2007, S.19). 

Biologische Invasion ist also das Resultat eines historischen Prozesses; sie wird primär unabhängig von der biologischen Beschaffenheit konstatiert, sondern durch den kulturellen Wertewandel definiert (Van Sittert 2002, S.398). Der historische Prozess wird durch unsere Mentalität geprägt, dessen Grundpfeiler auf dem Wirtschaftssystem des Kapitalismus sowie dem kulturellen Erbe des Kolonialismus ruhen. Ziele des Kapitalismus sind unter anderem die Verrechenbarkeit sowie Vergleichbarkeit aller Ressourcen. Dies hat zur Folge, dass Natur sowie Tiere objektifiziert werden (Menozzi 2014, S.192) und deren Domestizierung oder Kultivierung demoralisiert werden (vgl. „downgrading or devaluing of nature“, Mukherjee 2010, In: Menozzi 2014, S.188). Mit Bezug zu Marx seien Arbeit, Kapital sowie Grund und Boden Produktionsmittel (Marx 1857, S.383ff.); Tiere und Pflanzen hingegen sind Produktionsmittel und zugleich Produktionsgegenstand. Seitdem John Locke erkannte, dass die „Früchte der Erde“ durch einen Veredelungsprozess zum Besitz des Menschen werden (Locke 1689), scheint es uns intuitiv zu sein, sich die Natur anzueignen. Ferner ist selbst das Alte Testament der Auffassung die Erde dem Menschen untertan zu machen (dominium terrae). Mithilfe der Indoktrination der katholischen Kirche und dem Missionierungsinstrument des Kolonialismus wurde das Konzept der menschlichen Weltherrschaft über Pflanzen- und Tierwelt erfolgreich globalisiert. Die indigenen Völker Nordamerikas sowie Australiens mitsamt ihren Einstellungen gegenüber der Natur wurden dabei effektiv marginalisiert. Die Voraussetzung der Objektifizierung der Natur erlaubt eine Deterritorialisierung verschiedener Lebewesen sowie ein performantes Terraforming zum Zwecke der Produktivitäts- sowie Profitsteigerung (vgl. Menozzi 2014, S.192ff.). So überführte die koloniale Arche Noah ihre gewöhnlichen Nutztiere, wie Kühe, Schafe und Schweine, auf jeden möglichen Kontinent. Falls durch unerwünschte Lebewesen wirtschaftliche Prozesse gehemmt wurden und Schäden entstanden, verdienten die biologischen Arten ihr Attribut „invasiv“. 

Schluss

Und was sagen die indigenen Völker Australiens zu importierten Tieren, wie Katzen, Hunde und Büffel? Erstaunlicherweise ist eine Vielzahl von Aborigines überwiegend tolerant gegenüber eingeführten Tierarten (Trigger 2008). Darüber hinaus lässt sich der Prozess der Glokalisierung in der traditionellen Kultur erkennen; migrierte Tier- sowie Pflanzenarten werden in den Mythen aufgenommen, im Ritual verehrt und stellen nun einen Teil der lokalen Identität dar (vgl. ebd., S.633ff.). Auch Pflanzen wie Büffelgrass (Cenchrus ciliaris) (ebd., S.638) sowie Palmen (Phoenix dactylifera) (ebd., S.639) werden weitgehend positiv wahrgenommen, nicht zuletzt, weil ersteres als Weidefläche für Schafe sowie Viehherden dient und letzteres als attraktives Gewächs die Landschaft garniert.  Während Australien sich an der einst europäischen Palette eingeführter Tier- und Pflanzenarten erfreut, stehen Eukalyptus Bäume als Wahrzeichen Australiens wiederrum in Kalifornien, USA. Heutzutage wissen viele Menschen im sonnigen Staat Nordamerikas nicht mehr, dass der so frequent gepflanzte Baum ein australischer Immigrant ist (Coates 2007, S.9). 

Die Hausarbeit zeigt erfolgreich den Planeten Erde als anthropogenen Garten Eden. Nicht nur der Mensch eroberte den Planeten, auch seine Kommilitonen begleiteten ihn auf seinen Expeditionen. Der metaphorische Begriff der kolonialen Arche Noah symbolisiert die anthropogene Selektion sowie Verschiffung von Lebewesen durch die Kolonialmächte zur Gestaltung der Umwelt nach persönlichen Vorlieben. Dabei ist das Wort „invasiv“ ein anthropologischer Begriff, der an Macht gebunden ist und im kapitalistischen Sinne eine Kategorie des „Unerwünschten“ darstellt.