+++ English Version Below +++
Leni Riefenstahls kolonialer Blick
Nackte schwarze Afrikaner:innen – darunter Männer, Frauen und Kinder – prägen die Bilder auf der Leinwand. Am 19. Januar 2025 wurde im Münchner Werkstattkino der Film „Leni Riefenstahl: Ihr Traum von Afrika“ (2003) von Ray Müller zum zweiten Mal in Deutschland gezeigt. Die anschließende Diskussion über den kolonialen Blick, den der Film thematisiert, verfehlte jedoch in weiten Teilen ihr Ziel.
Leni Riefenstahl (1902–2003) ist eine kontroverse Figur der deutschen Filmgeschichte. Einerseits wird ihre kreative Ästhetik als Filmemacherin, Fotografin und Künstlerin gelobt, andererseits ist ihr Werk untrennbar mit dem Nationalsozialismus verbunden, da sie in enger Zusammenarbeit mit Adolf Hitler propagandistische Filme für das Regime schuf. Trotz ihrer Einstufung als „Mitläuferin“ in einem Entnazifizierungsverfahren litt ihr Ruf erheblich, und sie erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg keine Filmaufträge mehr. In den 1960er-Jahren wandte sie sich der Fotografie zu und widmete sich der Dokumentation des Nuba-Volkes im Sudan, wobei sie mehrere Fotoreportagen veröffentlichte.
„Mitläuferin?“
Lenis Karriere ist gezeichnet von ihrer Vorgeschichte.
Im Film begleitet Ray Müller die damals 97-jährige Riefenstahl zurück zu den Nuba, die sie als „ihre Freunde“ bezeichnete. Der Film zeigt nicht nur diese Reise, sondern auch die komplexe Beziehung zwischen der Künstlerin und den Menschen, die sie in ihren Fotografien festhielt.
Ziel und Kontext der Filmvorführung
Die Veranstaltung im Werkstattkino sollte weniger eine Würdigung Riefenstahls darstellen als vielmehr eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Darstellung des Nuba-Volkes und der Verantwortung im Rahmen einer zeitgemäßen Erinnerungskultur ermöglichen. Diese Fragestellungen sind keineswegs neu: Bereits im April 2024 hatten Fotografien der Nuba, die anlässlich des 50-jährigen Jubiläums in der Galeriestraße in München ausgestellt und verkauft wurden, zu Protesten geführt. Die Münchner Aktivistin Fadumo Korn organisierte eine Demonstration vor der Galerie, die eine Debatte über die problematischen Aspekte von Riefenstahls Werken anstieß.
Im Hinblick auf die Filmvorführung und die anschließende Diskussion lassen sich drei zentrale Problemfelder identifizieren:
1. Der koloniale und voyeuristische Blick
Der Film „Leni Riefenstahl: Ihr Traum von Afrika“ erhebt nicht den Anspruch, eine ethnografisch fundierte Darstellung des Nuba-Volkes zu liefern. Stattdessen zeigt er die Beziehung zwischen Riefenstahl und „ihren Nubas“ aus ihrer subjektiven Perspektive, die seit den 1960er-Jahren unverändert geblieben ist. Diese Perspektive ist geprägt von einem kolonialen Blick, der den Fokus auf die körperliche Erscheinung des Nuba-Volkes legt. Dieser Blick – im Sinne eines „Gazes“ – reduziert die Menschen auf ästhetische Objekte und ignoriert dabei die historische Verantwortung und das Machtgefälle, das zwischen Riefenstahl als weiße Europäerin und den fotografierten Personen bestand.
Lenis zweite „Heimat“
Mit 98 Jahren kehrte Leni zurück in den Sudan, in der Hoffnung „ihre Freunde“ wiederzusehen. Was kann eine alte Dame bloß falschmachen?
Selbst wenn Riefenstahl die Einwilligung ihrer Subjekte eingeholt hätte, waren sich diese vermutlich nicht der langfristigen Konsequenzen bewusst: Ihre Bilder werden bis heute im westlichen Kontext als Belege für eine vermeintliche „primitiv-exotische Andersartigkeit“ der Afrikaner:innen missbraucht (Othering). Die ethischen Implikationen solcher Darstellungen blendete Riefenstahl offenbar aus, was ihre Arbeiten bis heute problematisch macht.
2. Die Filmvorführung als Bühne für Rassismus
Zwar bietet die Vorführung des Films die Möglichkeit, kritisch über das koloniale Erbe und die Darstellung des Nuba-Volkes zu reflektieren. Gleichzeitig wird jedoch argumentiert, dass durch die Aufführung Rassismus und koloniale Klischees reproduziert werden, indem diese erneut einem Publikum präsentiert werden. Aktivistin Fadumo Korn bemängelte insbesondere den Umgang mit dem Thema Nacktheit in den Fotografien und Filmen: In einem deutschen Kulturprogramm wären Bilder nackter weißer Kinder undenkbar – bei schwarzen Körpern scheinen jedoch andere Maßstäbe zu gelten.
3. Die Diskussion im Kinosaal
Die anschließende Diskussion offenbarte ein grundlegendes Problem: Es bestand ein allgemeiner Konsens darin, dass Leni Riefenstahls Werk als (voyeuristische) Kunstform absolut zeitgemäß sei, wenn sie doch keine dunkle Vergangenheit gehabt hätte. Die kritische Reflexion über den kolonialen Blick wurde von vielen Zuschauer:innen als unangemessen empfunden, mit den Worten: „Nicht schon wieder die Afrika-Kiste aufmachen!“ Stattdessen betonten einige, durch den Film „den Sudan kennengelernt“ zu haben, und idealisierten die vermeintliche „Glückseligkeit“ des Nuba-Volkes im Kontrast zum modernen Leben in Deutschland.
Besonders auffällig war, dass der Diskurs vor allem von älteren, weißen Zuschauer:innen dominiert wurde, die sich über die Darstellung schwarzer Körper äußerten, ohne anzuerkennen, dass Betroffene selbst entscheiden sollten, was als angemessen gilt. Eine echte kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Dimension von Riefenstahls Werk fand kaum statt.
Die Ironie des Schicksals
Da ging das Abenteuer ins Auge! Beim kolonialen Blick drücken wir kein Auge zu.
Fazit: Was macht der Film mit den Zuschauer:innen?
Unabhängig von Riefenstahls Vergangenheit bleibt ihr fotografisches Werk problematisch, da es die dargestellten Personen objektiviert und koloniale Machtstrukturen reproduziert. Sowohl der Film „Leni Riefenstahl: Ihr Traum von Afrika“ als auch die begleitenden Veranstaltungen zeigen, wie wichtig eine differenzierte und selbstkritische Auseinandersetzung mit der Darstellung marginalisierter Gruppen in der Kunst ist. Ohne eine solche Aufarbeitung laufen derartige Projekte Gefahr, unreflektiert rassistische und koloniale Narrative zu perpetuieren.
+++ English Version +++
Leni Riefenstahl’s Colonial Gaze
Naked Black Africans—men, women, and children—dominate the images on the screen. On January 19, 2025, the Munich Werkstattkino screened the film Leni Riefenstahl: Her Dream of Africa (2003) by Ray Müller for only the second time in Germany. However, the subsequent discussion on the colonial gaze, which the film addresses, largely missed its mark.
Leni Riefenstahl (1902–2003) remains a controversial figure in German film history. While her creative aesthetic as a filmmaker, photographer, and artist is often praised, her work is inextricably linked to National Socialism due to her close collaboration with Adolf Hitler in producing propaganda films for the regime. Although she was classified as a „follower“ in a denazification trial, her reputation was severely tarnished, and she received no further film commissions after World War II. In the 1960s, Riefenstahl turned to photography, dedicating herself to documenting the Nuba people of Sudan, publishing several photo essays in the process.
„Follower?“
Leni’s career is marked by her background.
In the film, Ray Müller accompanies the then 97-year-old Riefenstahl back to the Nuba, whom she referred to as „her friends.“ The film portrays not only this journey but also the complex relationship between the artist and the individuals captured in her photographs.
Purpose and Context of the Screening
The event at the Werkstattkino aimed less to celebrate Riefenstahl and more to critically examine her portrayal of the Nuba people and the responsibilities of contemporary memory culture. These issues are far from new: as recently as April 2024, photographs of the Nuba exhibited and sold in Munich’s Galeriestraße to mark their 50th anniversary sparked protests. Munich activist Fadumo Korn organized a demonstration outside the gallery, initiating a debate on the problematic aspects of Riefenstahl’s works.
The screening and subsequent discussion highlighted three key areas of concern:
1. The Colonial and Voyeuristic Gaze
The film Leni Riefenstahl: Her Dream of Africa does not claim to be an ethnographically grounded portrayal of the Nuba people. Instead, it focuses on Riefenstahl’s subjective perspective on „her Nubas,“ which remained unchanged since the 1960s. This perspective is marked by a colonial gaze, emphasizing the physical appearance of the Nuba people. This gaze reduces individuals to aesthetic objects, disregarding the historical responsibility and power imbalance between Riefenstahl, a white European, and the people she photographed.
Leni’s second “home”
At the age of 98, Leni returned to Sudan in the hope of seeing “her friends” again. How could an old lady go wrong?
Even if Riefenstahl had obtained the consent of her subjects, they likely lacked awareness of the long-term consequences: their images continue to be exploited in Western contexts as evidence of a supposed „primitive-exotic otherness“ of Africans (Othering). Riefenstahl appeared to disregard the ethical implications of such portrayals, which remain deeply problematic to this day.
2. The Film Screening as a Platform for Racism
While the screening provided an opportunity to critically reflect on colonial legacies and representations of the Nuba people, it also risked reproducing racism and colonial stereotypes by reintroducing them to an audience. Activist Fadumo Korn criticized the depiction of nudity in Riefenstahl’s photographs and films, noting that images of naked white children would be unthinkable in a German cultural program—yet different standards seem to apply to Black bodies.
3. The Post-Screening Discussion
The subsequent discussion revealed a fundamental issue: there was broad consensus that Riefenstahl’s work would be considered a legitimate (voyeuristic) art form if not for her dark past. Many audience members dismissed the critique of the colonial gaze as excessive, with comments such as, „Not this Africa issue again!“ Instead, some emphasized that they had „gotten to know Sudan“ through the film and idealized the supposed „blissfulness“ of the Nuba people in contrast to modern life in Germany.
Notably, the discourse was dominated by older, white audience members, who felt entitled to comment on the depiction of Black bodies without acknowledging that those directly affected should have the primary say in determining what is appropriate. Genuine critical engagement with the colonial dimensions of Riefenstahl’s work was largely absent.
The irony of fate
Then the adventure ended! We don’t turn a blind eye to the colonial gaze.
Conclusion: What Does the Film Do to Its Viewers?
Regardless of Riefenstahl’s personal history, her photographic work remains problematic for its objectification of its subjects and reproduction of colonial power structures. Both the film Leni Riefenstahl: Her Dream of Africa and the accompanying events underscore the importance of a nuanced and self-critical examination of the representation of marginalized groups in art. Without such reflection, projects like these risk perpetuating uncritical racist and colonial narratives.