PRIDE-MONTH IN GEFAHR?
geschrieben von Victor Keilhack & lektoriert von Felix Keilhack
Die AfD Thüringen hat zum Start des diesjährigen Pride-Months den Stolz-Monat ausgerufen. Mit dem Spruch ”Schwarz Rot Gold ist bunt genug!” wollen sie dem Juni als Pride-Month seine Bedeutung verändern. Das ist ein gezielter symbolischer Angriff nach einer sehr effektiven Strategie: Symbolische Appropriation. Die AfD kämpft einen symbolischen Kampf gegen die LGBT+-Community, den sie verlieren soll.
Der Pride-Month
LGBT+-Angehörige wurden für lange Zeit stigmatisiert, diskriminiert und in der NS-Zeit sogar in KZs gebracht. In vielen afrikanischen Ländern und Ländern des Nahen Osten wird Homosexualität heute noch kriminalisiert; in 12 Ländern gibt es heute noch die Todesstrafe auf Homosexualität. Die Hasskriminalität gegen queere Menschen steigt sogar in Deutschland. LGBT+-Angehörige bilden weltweit eine Minderheit, die für ihre Rechte kämpft und geschützt werden sollte.
Das Stonewall Inn in der Christopher Street in New York ist seit 1967 ein Tanzlokal für die homosexuelle Gemeinschaft. Weil das Lokal damals von regelmäßigen Polizeirazzien ins Visier genommen wurde, gab es 1969 die nach dem Lokal benannten Stonewall-Proteste: Mehrere Aufstände von queeren Leuten stoppten die Razzien erfolgreich. Daraus entstand die Befreiungsbewegung der LGBT+-Community: Pride-Paraden (die in deutschsprachigen Regionen nach der Straße des Stonewall Inns benannt sind: Christopher Street Day, kurz: CSD) und der Juni als Pride-Month sind jährliche Bemühungen, für Rechte und gegen Diskriminierung von LGBT+-Menschen zu kämpfen.
Wie oben schon erwähnt, gibt es auch in Deutschland noch viele Herausforderungen zu bewältigen, bis Queerness in der Gesellschaft komplett normalisiert ist. Deshalb sind CSDs und der Pride-Month bis heute bitter nötig.
Der Pride-Month ist das Symbol der LGBT+-Community. Warum Pride/Stolz? Der Stolz ist ein stark positives Gefühl, um den Scham und die Stigmatisierung queerer Sexualitäten und Gender zu bekämpfen. Es geht darum, queeren Leuten Mut und Selbstsicherheit zu geben, dass sie sich selbst nicht nur im Geheimen ausleben können.
Manche sind auch stolz auf die bisherigen erkämpften Rechte der LGBT+-Community oder auf ihren Mut für ihr Coming-Out in bedrückenden gesellschaftlichen Kontexten. Der Stolz ist eine Kombination aus Selbstsicherheit über seine Eigenschaften und eine Dankbarkeit für die bisherigen Rechte.
Renaissance & Verarbeitung von Symbolen
Eine Kultur ist ein Symbolsystem. Sehr oft werden alte Symbole einer vergangenen Strömung recycelt, neu gedeutet, verarbeitet und in einen neuen Kontext eingebettet. Die ursprüngliche Bedeutung von Symbolen stimmt selten mit der neuen Bedeutung überein, zumal die Kultur stets im Wandel ist.
Weihnachten als ein symbolisches Festival ist zum Beispiel ein Zusammenklau aus vielen Subkulturen: Bäume schmücken war Teil des römischen Mithras-Kults. Das Wichteln kommt aus der nordischen Kultur, die die Sagengestalt des Wichtelmännchens hat. Sogar das Datum ist nahe der Wintersonnenwende, die bereits von vielen gefeiert wurde: Germanenstämme, das skandinavische Julfest, wieder der Mithras-Kult mit dem ”Sol invictus”-Feiertag. Im Namen des Kapitalismus wurde die Zeit rund um die Wintersonnenwende wieder für eine andere Kultur übernommen: Konsumkultur! Der Weihnachtsmann bringt euch Coca Cola! Kauft Geschenke!
Ein Beispiel aus der queeren Szene: Sappho war eine Dichterin aus dem antiken Griechenland, die in ihrer Lyrik viele Anspielungen auf weibliche Homosexualität machte. Ihr Wohnort Lesbos prägte das heutige Wort ”lesbisch”. Gelehrte deuteten ihre lesbischen Anspielungen oft rein platonisch, als ginge es nur um Sapphos Freundinnen. Heutzutage hat die LGBT-Community ”Sappho und ihre Freundin” zu ihrem Symbol gemacht: eine ironische Anspielung und ein Zeichen dafür, wie die Aufarbeitung der Geschichte oftmals (Gender-)Queerness verkennt. Schaut mal in den Reddit-Thread r/SapphoAndHerFriend für Beispiele. Jedenfalls ist Sappho ein Symbol, das ständig neu interpretiert wurde.
Ein anderes Beispiel: Der Frosch Pepe, erfunden 2005 von Matt Furie, war jahrelang ein Meme der Internetkultur, bis er irgendwann mit US-amerikanischen Rechtsradikalen assoziiert wurde. Diese nahmen ihn dankend als ihr Erkennungssymbol an. Pepe wurde dadurch als Neonazi-Symbol verurteilt. Personen, die das Meme in seiner ursprünglichen neutralen Bedeutung verwendeten, wurden als rechtsradikal beschuldigt. Seither kämpft Matt Furie mit Copyright-Abmahnungen an Neonazis, um Pepe aus dieser Appropriation zurückzuholen.
Im Hinblick auf den sogenannten Stolzmonat der AfD stellt sich nun die Frage, in welcher Form eine Renaissance und Verarbeitung von Symbolen angemessen ist. Die AfD annektierte den Pride-Month als Symbol und verarbeitete ihn bewusst zum Stolzmonat. Kritiker:innen könnten dies als eine unangemessene, symbolische Appropriation identifizieren.
Möglichkeiten des Umgangs bei symbolischer Appropriation
Innerhalb einer heterogenen Kultur gibt es verschiedene Gruppierungen von Menschen, die gemeinsame Symbole in Form von Geschichten, Glauben, Feiertagen und Bräuchen teilen. Sowohl die LGBT+-Community als auch die AfD-Anhänger:innen bilden konträre Gruppierungen zueinander, die jedoch einer Kultur angehören, zumal sie meist dieselbe Sprache sprechen. Vermutlich existieren beide Gruppen, weil sie sich gegenseitig die Basis zur Existenz geben; einerseits bildet sich die LGBT+-Community als Minderheit, die sich mit dem Kampf für ihre Rechte identifiziert, andererseits bildet sich eine konservative Gruppierung, die die Geschwindigkeit des sozialen Wandels fürchtet und sich mit traditionellen Werten identifiziert. Die Koexistenz beider Gruppierungen in einer Kultur verstärkt ihr Zusammenhaltsgefühl und Widerstand.
Auch im Hinblick auf die symbolische Appropriation des Pride-Months durch die AfD gibt es nun (mindestens) drei Möglichkeiten, wie man mit der Neuinterpretation des Symbols umgehen kann:
(1.) Individuen könnten die neue Interpretation gut finden und damit verschmelzen. Die Bedeutungen des Symbols können sich dynamisch wandeln, insofern sie nicht festgeschrieben werden. Mehrere Bedeutungen können dabei heterogen koexistieren.
(2.) Individuen von bestimmten Gruppierungen könnten das alte Symbol verteidigen und weiterhin im Kontext seiner ursprünglichen Bedeutung verwenden. Diese Personen identifizieren sich mit dem alten Symbol, legen es fest, ja definieren es als statischen Begriff, und entziehen es (zeitweise) dem kulturellen Wandel. Somit distanzieren sie sich von der neuen Bedeutung. Dabei können multiple symbolische Bedeutungen koexistieren, die homogen gerendert werden wollen.
(3.) Individuen von bestimmten Gruppierungen könnten das neue Symbol aufgeben, weil es im Prozess der symbolischen Appropriation zu anderen Zwecken missbraucht und „beschmutzt“ wurde. Diese Personen möchten sich nicht mehr mit dem Symbol assoziieren, weil es für die Werte einer anderen Gruppierung steht. Die dritte Möglichkeit verwendet dieselbe Identifizierungsstrategie der zweiten Möglichkeit; das Verteidigen oder Ablehnen von Symbolen verstärkt die Gruppenkohäsion.
Warum ist der Pride-Month gefährdet?
Die AfD Thüringen begeht mit ihrem Ausruf des Stolzmonats symbolische Appropriation. Der Spruch “Schwarz Rot Gold ist bunt genug!” klingt gefährlich nach einem Kampf um das Symbol des Pride-Months. Ich finde den Ausruf sehr kritisch, weil er aus drei Gründen sein könnte:
(1.) Es ist als Witz gemeint. Dafür meinen es meiner Wahrnehmung nach einige aber ganz schön ernst. Und einen Witz auf Kosten einer diskriminierten Minderheit zu machen, ist nicht sehr geschmackvoll.
(2.) Die AfD denkt, die LGBT+-Community werde gar nicht diskriminiert. Dann wäre sie schlecht informiert, denn es gibt dazu die oben genannten Fakten, die nicht blumig aussehen.
(3.) Die AfD denkt, die Diskriminierung ist in Ordnung so. Dann ist die Partei schlicht Queerphob.
Die AfD ist damit mindestens unsensibel gegenüber der Diskriminierung von LGBT+.
Ein weiterer Punkt, warum ich diese Aktion sehr kritisch finde, ist, weil das ein Beispiel von Hundepfeifen-Politik ist. Es ist nicht vollkommen klar, aus welchen der oberen drei Gründe die AfD den Stolzmonat ausruft, und genau das ist ein Problem. Für manche mag die Aktion ein Witz oder eine Provokation sein. Aber auch Queerphobe Personen können sich damit identifizieren, weil die Aktion absichtlich so entworfen ist, für verschiedene Leute verschiedene Bedeutungen anzunehmen. Wirft man der AfD aber Queerphobie vor, kann sie, wenn nötig, geschickt ausweichen, dass ihre Aktion nur ein Witz war.
Die Gefahr ist, dass die Aktion des Stolzmonats die queere Community wie oben beschrieben zerteilt und schwächt. Es könnte passieren, dass das Symbol Pride-Month so stark mit AfD und latenter Queerphobie assoziiert wird, dass das Symbol gestohlen wird. Das wäre ein fatales Problem im Kampf gegen die LGBT+-Diskriminierung.
Reaktion auf symbolische Appropriation
Was also tun? Können wir vor das Kulturengericht ziehen? Lassen wir Ethnolog:innen solche Taten verurteilen, denen sowieso keiner zuhört? Können wir die AfD mit Copyright-Abmahnungen bedrängen? Nein, das wird alles nichts.
Die LGBT+-Community muss sich darüber bewusst werden, was die AfD gerade tut. Queere Menschen müssen die Strategie abstrahieren, so wie ich es gerade im Text vorgeführt habe. Welche Antwortstrategie ist die effektivste, um einer solchen symbolischen Appropriation zu entgegnen?
Zum einen ist es wichtig, das Symbol und seine ursprüngliche Bedeutung zu verteidigen und sich von der AfD zu distanzieren. Zum anderen schlage ich den symbolischen Gegenangriff vor: Die AfD hat bei der Appropriation des Pride-Months auch dessen Namen ins Deutsche übersetzt. Den “Stolzmonat” kann die LGBT+-Community als Symbol zurückaneignen. Der Stolzmonat ist ein Symbol für feigen symbolischen Kampf gegen eine Minderheit. Ein Zeichen dafür, dass die AfD diffuse Ängste gegen Minderheiten für Wahlkampf anfacht und ausnutzt. Ein Zeichen für Politik, die Queerphobe sowie naive Konservative ansprechen soll. Lasst uns darüber lachen, dass die AfD hinterhältig versucht, ein Symbol einer verteidigungsfähigen Minderheit zu stehlen. Der Stolzmonat soll der Spott über die AfD werden, den sie für ihre Aktion verdient hat. Die AfD kämpft einen symbolischen Kampf gegen die LGBT+-Community, den sie verlieren soll.