Ethnologische Feldforschung im Club
Ethnologische Feldforschung im Club

Ethnologische Feldforschung im Club

Ethnologische Feldforschung im Club

Von Felix Keilhack

Der folgende Artikel ist ein Erfahrungsbericht meiner ersten Feldforschung im Club. Nach meinem Vorbild E.E. Evans-Pritchard integrierte ich rhetorische Mechanismen in meine Arbeit, zur heroischen Selbst-Inszenierung, wie zum Beispiel das ethnographische Präsens. Trotz ironischer Übertreibungen beruht die Feldforschung auf wahren Begebenheiten.

Der Begriff Ethnologie stammt vom altgriechischen Wort „Ethnos“ und heißt in akademischen Kreisen so viel wie „Ethanol“ oder im Umgangssprachlichen „Alkohol“. Um dem Namen volle Ehre zu erweisen, begab ich mich als einsamer Feldforscher auf eine Expedition in den mir fremden Club „Sweet“ in München. I have been there! Mit der Wahl des speziellen Ortes, war mir durchaus bewusst, dass ich sowohl als Ethnologie-Student als auch als Forscher im Club im wahrsten Sinne des Wortes aus der Reihe tanzen würde. Meiner Meinung nach ist ein Club ein sehr spannendes Forschungsfeld mit Potential. Nach einer halben Stunde in der Schlange stehen, musterte mich der Türsteher und beschloss, mir den Zutritt zu verweigern.

Der Türsteher bildet in einem strukturfunktionalistischen System eine Institution, die die Veranstaltung umrahmt, deren Existenz erhält und subjektive Grenzen zieht, um eine Dichotomie zwischen exklusiver In- und segregierter Out-Gruppe zu erschaffen. Meine individuellen Bedürfnisse spielen in diesem abgeschlossenen System keine Rolle; das statische Konzept ist das Resultat eines repressiven Rechtssystems und es schafft eine segmentäre Gesellschaft der Außenstehenden. Der Türsteher verkörpert in der strukturfunktionalistischen Sau ohne Zweifel das Arschloch des holistischen Apparats.

Auf ein Grenzspektakel nach Nicholas De Genova verzichtete ich. Meinem Vorgehen bedarf es einem Paradigmenwechsel; ich heftete mich mit einer diffusionistischen Neugierde an die Fersen von nomadischen Pilger:innen und versuchte mein Glück im Club der „roten Sonne“. (Der Eintrittsstempel verblieb noch weitere 7 Nächte an meinem Handgelenk.) Kurze Zeit später und einem Eintrittspreis von 15 Euronen ärmer, stieg ich in einen feuchten Keller hinab, hinein in einen epileptisch-zuckenden Pulk tanzender Menschen. Die Atmosphäre erinnerte mich an das fiktive Konzept einer unterirdischen Hölle; der Bass primitiver Technomusik massierte mein Zwerchfell und dichte Wolken einer Nebelmaschine absorbierten das rot-blaue Licht der Tanzfläche. Das Paideuma des Clubs schien mich zum Tanzen animieren zu wollen, eventuell auch meine Hemmungen aufzuheben und mir eine Spritze mit diabolischen Flüssigkeiten in die Adern zu jagen. Ich beobachtete das Tanzritual zunächst aus etischer Perspektive. 70% der Anwesenden waren männlichen Geschlechts. Verschiedene Gruppenkonstellationen bewegten sich in unterschiedlichen Formationen langsam durch den Raum und wurden von einem DJ magisch angezogen. Trotz chaotischen Verhältnissen vermischten sich die einzelnen Gruppen niemals mit anderen.

Als Amateur-Ethnologe kritzelte ich mir Feldforschungsnotizen auf einen Block, um meine Wirkung als nüchterner Student auf andere Anwesende zu beobachten. Ich fing mir ein paar skeptische und verblüffte Augenbrauen ein, doch zu meinem Erstaunen schien meine Anwesenheit keine weiteren Auswirkungen auf Menschen zu haben.

Ich beschränkte mich im Verlauf der Feldforschung auf die Untersuchung der Dynamik im Club. Die zweibeinige Mobilität der wie in Trance tanzenden Menschen folgte einer ganz bestimmten Strömung: Gruppen und Individuen rotierten um ein imaginäres Zentrum und trudelten in Richtung DJ-Pult. Ich verstand meine Nüchternheit im Vergleich zum durchschnittlichen Pegel als Kommunikationsbarriere. Deshalb kippte ich mir ‘ne Buddel voll Rum hinter die Binde, um nach den Lévi-Strausschen Universalien des menschlichen Geistes die gleiche kulturelle Brille aufzusetzen. Das kulinarische Dreieck aus Gin, Bier und Rum stimulierte meine Wahrnehmung. Ich stürzte mich als beobachtender Teilnehmer ins wilde Getümmel.

Meine Hypothese bestätigte sich. Es gab eine generelle Strömung im Gefecht! Als ich tanzte, ließ ich mich wie ein schwimmendes Brett durch den Mainstream der Gruppen treiben und mäanderte nach einiger Zeit an den Rand des Raumes. Zu meinem Unglück stieß ich auf nicht kontaktfreudige Gruppen, deren abgeschlossenen Migrationszellen keine fremde Person zu inkludieren suchten. Auch meinte ich zu beobachten, dass die Omnipräsenz und Dominanz der Männer nach dem Prinzip der Gynäkostatik ihr weibliches Gegenstück zu verteidigen versuchten. Eine strukturelle Polyandrie herrschte vor. Ganz im Gegenteil zum Fission & Fusion Prinzip der Nuer im Südsudan, bildeten die segmentären Gruppen im Club verschlossene, stabile Einheiten. Die Methode des Interviews ließ sich, nicht zuletzt aufgrund des Krachs, leider nicht mit dem Gegenstand meiner Forschung vereinen.

Vielleicht ist der Neubeginn der Partykultur noch Neuland für uns. Zwar ließe sich die Öffnung der Bars und Kneipen als Neuanfang sozialer Begegnungen interpretieren, doch leider scheint das Trauma der Covid-Pandemie noch nicht verarbeitet. Trotz der Lockerungen der Einschränkungen, fühlen wir uns noch eingesperrt in unseren Gehirn-Zellen. Bevor ich in eine ethnologische Krise verfiel und meinen relativ unerfolgreichen Abend mit einer Erinnerungslücke vervollständigte, beschloss ich eine Fliege zu machen.

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